Vom Altern (2024)

Frankfurt, 11.04.2024

Alter ist keine Krankheit. Altern ist so etwas Ähnliches wie welken, wie eine Pflanze welkt: sie wächst, und wenn die Bedingugen gut genug sind, dann blüht sie auf, aus den Blüten entwickeln sich Früchte, die Frühte werden reif, sie fallen zu Boden oder manchmal verdorren sie auch am Stiel. Die Blätter welken und überwintern als dürre Äste.Auf meinem Balkon habe ich eine Chrysantemen-Staude im Blumenkasten, die jeden Herbst, meist erst im Oktober, einen riesigen Strauß prachtvoller Blüten hervorbringt, die, je breiter die Staude wird, umso mehr verschiedene Farbschattierungen zeigt. Im Dezember war alles verwelkt, verdorrt, unansehmlich geworden. Ich schnitt die trockenen Pflanzen kurz über den Wurzeln ab, so dass man fast nichts mehr davon sah. Doch jetzt, im April, haben die Wurzeln schon wieder frische grüne Triebe hervorgebracht - ich habe früher nicht drauf geachtet, jetzt wundere ich mich! Die Staude nimmt jedes Jahr etwas mehr Platz ein und arbeitet ab dem ersten Frühjahr schon daran, ihre herrlichen Blumen für Oktober vorzubereiten!  Sonst nichts. Keine Früchte. Aber Ausdehnung. Reine Schönheit.

Insofern altert die Pflanze nicht. Sie erscheint - vorläufig - immer wiede neu. Ich aber altere, doch nicht so gleichzeitig wie die Chrysanteme im Spätherbst.  Meine Haut welkt; meine Haare verlieren ihre Farbe; die Muskeln verlieren an Kraft. Ja, und ich bekomme leichter Krankheiten. So war die Warnung,  dass Senioren schneller an Covid erkranken und leichter daran sterben, nicht unbegründet.

Mein Krankheit aber heißt "Polyneuropathie". Es war meine Hausärztin vor 20 Jahren, von der ich diese Diagnose erfuhr, die später von einem Neurologen bestätigt wurde, und unter der sich seit ca. drei Jahren immer stärker leide. Es fehlt mir von den äfüßen her am 'Gleichgewicht: Bestimmte Nerven, die dem Gehirn jederzeit mitteilen, wo und wie ich auf meinen Fußsohlen stehe, verweigern den Dienst und ich muss mit Hilfe der Augen und dem übrigen Körper immer für Halt suchen. Darum schaffte ich mir vor 3 Jahren eien Rollator an, nur fürs gleichgewicht. Das reichte, bis vor etwa einem Jahr: nun brauch ich zum Ausgehen einen richtigen Rollstuhl. Und jemanden, der ihn führt. Nur in der Wohnung, im Aufzug, im Haus kann ich mich noch mit Rollator bewegen. Auch dort fällt mir das Gehen immer schwerer, ich sitze öfter auf dem Rollator, als dass ich gehe. Und die Schmerzen im  Körper nehmen zu.

Die Ärzte reden darüber nicht gern darüber, weil es schulmedizinisch keine Hilfe gibt. Vitamin B12 hilft etwas, mehr noch Pysiotherapie, oft als Manuelle Therapie. Und mein Feldenkrais-Kollege lockert mich einmal die Woche auf eine Weise auf, die ich trotz eigener Feldenkraiskenntnis nicht zustande bringe. Dennoch hilft mir mein eigenen Wissen aus dieser Quelle auch. Vor allem um Schmerzen zu lindern. Pharmazeutischen Schmerzpillen quälen mit zu vielen Nebenwirkungen, beim Magen z.B.

Meine Haut ist dünn geworden. Ich werde empfindlicher.  So verstehe ich mich selbst , und andere, besser als früher, wo ich noch mehr bei Kräften war. Ich erkenne, was Weisheit ist und was sie im Altern für einen Gewinn bringen kann. Ich begreife, mit wem ich Gedanken austauschen kann,  und mit wem nicht. Ich sehe, wovor sich jemand fürchtet, und kann Nachsicht  üben. Ich nehme wahr, dass auch meine Nachsicht Grenzen hat: neulich kam eine Pflegerin, die, so spürte ich, vor allem bewundert,  anerkannt werden wollte - für eine Bildung, die sie nicht besaß, für Kenntnisse, von denen sie keine Ahnung hatte; vermisste sie solch ein Entgegenkommen, schrie sie mich an, ließ die Türen knallen. Ich bekam einen Anfall von Angina pectoris, verbrachte einen Tag und eine Nacht deswegen im Krankenhaus, wurde als '"gesund" entlassen und beschloß, dass ich lieber den Pflegedienst wechseln sollte.

Es bleibt noch immer was zu tun.