2006
2006
erschienen am 20. Oktober 2006 in 'D'Letzebuerger Land'
Friedenspreis des deutschen Buchhandels:
Lerngemeinschaften gründen
Barbara Höhfeld
Den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhielt dieses Jahr Wolf Lepenies, Professsor der Soziologie, ab 1986 Rektor des Berliner „Wissenschaftskollegs“. In dieser Einrichtung, 1980 nach dem Vorbild des „Institute for Advanced Study“ (Princeton/USA) gegründet, dürfen 40 Forscher aller Fachrichtungen ein Jahr lang an selbst gewählten Projekten arbeiten, stehen dabei in regelmäßigem Kontakt mit den anderen 39 „Fellows“ am Kolleg. Eine „Lerngemeinschaft“ nennt Lepenies das. Solchen Lerngemeinschaften half er während seiner Rektoratszeit (bis 2001) auch anderswo ins Leben: in Budapest, Bukarest, Sofia, St. Petersburg und in Bamako/Mali. Für diese Arbeit vor allem erhielt er den Friedenspreis. In der Begründung des Stiftungsrates heißt es: „.... Zwischen den in Kunst und Wissenschaft verbreiteten Haltungen von Enthusiasmus und Skepsis hat sich Wolf Lepenies für eine dritte Haltung entschieden: für den intellektuellen Anstand, wie er ihn bei Diderot vorgebildet sieht. Er hat den ‚handelnden Intellektuellen’ in der Geschichte gesucht und ihn als einen Typus beschrieben, der für das Gemeinwohl einsteht....“ - und hat ihm nachgeeifert.
Lepenies schrieb sein erstes Buch zum Thema „Melancholie und Gesellschaft“ (1969). Es war La Rochefoucauld gewidmet , entsprach gleichzeitig dem Gemütszustand der Zeit. Er arbeitete in zahlreichen Veröffentlichungen weiter am „modernen gesellschaftlichen Selbstverständnis“.
In seinem jüngsten Buch „Kultur und Politik – deutsche Geschichten“ legt Lepenies dar, wie in Deutschland – anders als etwa in Frankreich – die Politik von seiten der Kultur(träger) gern als minderwertig betrachtet wurde, so daß die Elite glauben konnte, sich nicht ins Politische einmischen zu müssen. Politik bedeutete ihnen: Kompromiss („faul“). Kultur dagegen: das Wahre, Gute, Schöne. Lepenies zitiert den französischen Autor Julien Benda aus seinem 1927 erschienenen Werk „La trahison des clercs“ mit der „opposition fondamentale entre les intérêts du social et du vrai. D’où mon profond mépris, en tant que clerc, du social.“ Durchaus nicht typisch französisch, diese Ablehnung jeden gesellschaftlichen Engagements durch einen Intellektuellen, spiegelt sich darin doch (nach Lepenies) eine damals in Deutschland verbreitete Haltung wider. Besteht hier nicht ein Zusammenhang mit seiner überraschenden Bemerkung (auf der Pressekonferenz), dass er selbst sich nie um „Frieden“ als Begriff bemüht habe?
Der „Friedenspreis“ wird seit 1950 für eine Mischung aus Sprachkunst und zum Frieden anleitender Gesinnung verliehen. Für mich bedeutet „Frieden“: Gegensätze austragen, ohne einander umzubringen. Dafür bedarf es der Sprache/n. Wer nicht für „Frieden“ ist, hält Krieg für selbstverständlich und braucht kein Sprachbewußtsein.
Lepenies wirkt aber nicht wie ein Krieger, eher wie das Urbild eines Zivilisten: sprachmächtig und leicht nach vorn gebeugt. In seinen Begegnungen mit Osteuropäern mag sich ihm der herkömmliche Friedensbegriff als unbrauchbar erwiesen haben. Sein Laudator, der rumänische Philosoph und Kunsthistoriker Andrei Plesu, erläuterte: im Osten habe das Wort eine andere Biografie. Den Völkern wurde der „Kampf für den Frieden“ gepredigt, was Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus bedeutete – also Kampf. So fragte Plesu, von welchem Krieg denn bei diesem Friedenspreis die Rede sei, und sagte: Lepenies stelle „dem Krieg nicht den einfachen und makellosen Frieden gegenüber, sondern Kommunikation und Erkenntnis.“ Der Frieden von Lepenies sei der „eines gut informierten und pragmatischen Experten.“
In seiner Paulskirchenrede forderte Lepenies u.a. eine Umschichtung der universitären „Islamwissenschaft“ in ein allgemeines Lehrgebäude: Geschichte zu Geschichte, Literatur zu Literatur. Er verglich diese Disziplin mit der Vorstellung von „einer Christentumswissenschaft, der man die Bibelexegese ebenso zumuten würde wie die Ursachenforschung des Dreißigjährigen Krieges, eine Erklärung für den dramatischen Rückgang der Geburtenraten und die Deutung von Faust II“. Er sprach von „Weitsicht als auszeichnendes Merkmal der Wissenschaft“ und rügte die kurzsichtige deutsche Bildungspolitik, ihre „aberwitzigen Kürzungen“.
Es ist, als schaffe dieser Soziologe einen veränderten Sprachgebrauch. „Europäisch“ hatte für ihn entschieden nichts mit der EU zu tun – er nannte die EU einfach „Brüssel“ und fand Brüssel unbrauchbar, weil „zu umständlich“ . Daß auch die EU eine Lerngemeinschaft ist, in der es um Kommunikation und Erkenntnis geht, die seit 50 Jahren Krieg verhindert, das schien ihm unerheblich. Seine Erfahrungen beruhen offenbar auf Gemeinschaften von Einzelpersonen, die sich über Staatsgrenzen hinaus bilden. Persönliche Lerngemeinschaften als Grundlage von Veränderungen. Auf diesem Wege will er möglicherweise den traditionellen deutschen Begriff von „Kultur“ von innen heraus verändern, und damit retten. Denen, die Wissenschaft als „Elfenbeinturm“ abtun, entgegnet er: „Es gibt Elfenbeintürme, von denen aus man weit sieht.“