Tagebuch Sommer 2022

Frankfurt, den 23. August

Was ist denn in Frankfurt los?

Derzeit herrscht in Frankfurt ein bisschen Ruhe in bezug auf die nun schon jahrelangen Angriffe gegen den Oberbürgermeister Peter Feldmann. Das machen die Ferien. Oder sind auch Ermüdungserscheinungen im Spiel? Oder lese ich nur nicht die „richtigen“ Zeitungen?

Vor zehn Jahren, als er zum ersten Mal gewählt wurde, habe ich mich beim Wahlkampf stark engagiert: er vertrat eine einfache, klar sozialdemokratische Politik. Neue Sozialwohnungen schaffen, die gemeinnützigen Wohnungsgesellschaften behalten, die von der schwarzgelben Stadtregierung gerade verkauft wurden oder werden sollten. Es ging um bezahlbaren Wohnraum für alle Frankfurter. Ferner ging es ihm um Bekämpfung der Kinderarmut und um Gleichstellung bei den Bildungschancen, um mehr Aufmerksamkeit gegenüber älteren Menschen sowie um Bekämpfung des Fluglärms und um eine internationale, vor allem europäische Offenheit der Stadt in vielerlei Hinsicht. Im Wahlkampf sprach Feldmann sehr viel mit einzelnen Wählern und weckte soviel Zuspruch, dass er bei der Wahl tatsächlich eine deutliche Mehrheit der Stimmen errang. Der damalige CDU-Kandidat rieb sich die Augen, er hatte sich als der selbstverständliche Nachfolger seiner CDU-Vorgängerin gesehen. Auch den zweiten Wahlkampf nach sechs Jahren gewann Peter Feldmann klar. Bis heute hat er seine Politik beibehalten und weitergeführt: zugunsten der einfachen Leute, und die bilden immer noch die Mehrheit in der Stadt.

Woher also kommen die Angriffe? Sie begannen offen, als vor drei Jahren in der hessischen AWO (Abkürzung für Arbeiterwohlfahrt, sie steht der SPD nahe) ein Betrugsskandal bekannt wurde. Da hörte ich zum ersten Mal das Raunen: Der Feldmann war doch vorher bei der AWO? Gehört der nicht auch zu den Betrügern? Als ihm keine Beteiligung an dem Kriminalfall bewiesen wurde, hieß es immer noch: Aber er muss doch davon gewusst haben??? Als aber ein, zwei Jahre später seine alsbaldige Ehefrau, weil sie als Erzieherin eine Sprach-KITA bei der AWO leitete, in einem angeblich zu großen Dienstwagen („Mittelklassewagen“ hieß es, als ich mich ernsthaft umhörte) umherfuhr und obendrein angeblich ein viel zu hohes Gehalt bezog, da waren die Verleumdungen nicht mehr zu stoppen. Feldmann erklärte, dass er sich gar nicht um das Gehalt seiner Frau kümmere – von nun an wurde ihm gar nicht mehr geglaubt. Die Verleumdungen nahmen überhand. Was immer er tat, es wurde gegen ihn gedreht. Diesen Sommer erschienen sogar Hetzplakate in der Stadt, deren Wortlaut der Sprache im berüchtigten Film von Veit Harlan entnommen schien.

Offensichtlich handelte es sich um die Bekämpfung einer Person, nicht um politische Probleme. Der Stadt Frankfurt geht es blendend. Außerhalb von Frankfurt wundert man sich. „Was ist denn bei euch los?“ werde ich immer wieder gefragt. Verschwörung? Oder steht ein Wahlkampf bevor? Ja,  die nächsten Oberbürgermeisterwahlen wären 2023. Doch wenn der Rücktritt stattfände, dann müsste der Oberbürgermeister sofort neu gewählt werden. Und was macht die SPD?

Ja, was tat sie? Die meisten der zuständigen Parteioberen hielten dem Druck der Hetzerei nicht stand. Sie begriffen nicht, was geschah. Wenn Feldmann nur zurückträte, glaubten sie, könnte ihnen gar nichts mehr passieren. Dann könnten sie in Ruhe ihre Politik weitermachen. Aber Feldmann lehnte einen Rücktritt ab, weil er sich als unschuldig ansah. Er hatte niemanden betrogen, er hatte auch keine Vorteile für sich gesucht. Gegen Mobbing ist der Rücktritt nicht das richtige Mittel.

Auf Seiten der SPD hatte man die Mitglieder nach vollendeter Tatsache (d.h. nach Abstimmung in der Ratsversammlung über das Referenum zur Abwahl) informiert, dabei aber keinerlei Programm für die doch notwendig folgende Neuwahl vorgesehen, geschweige denn zur Debatte gestellt. Dass die CDU bereitwillig mit ihnen gegen Peter gestimmt hatte, fanden sie auch eher positiv. Ja, merkten sie denn nicht, dass sie hier die Wahltrommel für die CDU rührten? Die Frankfurter SPD-Spitze übersah vollständig, welchen Eindruck nach außen eine Fraktion machen muss, die ihrem vom Wahlvolk zweimal direkt gewählten Oberbürgermeister in den Rücken fällt und in die verbreitete persönliche Hetze gegen ihn mit einstimmt!

Tatsächlich läuft derzeit noch ein Gerichtsverfahren „wegen Vorteilsnahme“ gegen den Oberbürgermeister: er soll sich von der AWO Vorteile bei seiner Wahl und für seine Frau eine höhere Gehaltsstufe besorgt haben. Beides bestreitet er. Ich sehe beides als Teil der gegenwärtigen Hetzkampagne. Das Verfahren soll im November stattfinden. Für Oktober aber ist schon das Referendum vorgesehen, bei dem die Frankfurter Feldmann zum Rücktritt auffordern sollen.

Die alte Frage: wem nützt das? Cui bono? Es nützt allein der CDU, das ist offensichtlich. Sieht die Frankfurter SPD-Spitze das nicht auch? Sieht sie nicht, dass vor allem der Verrat der Partei an ihrem Oberbürgermeister von dem ganzen Desaster im Gedächtnis bleiben wird?

Ich wünsche mir, dass die Partei sich besinnt und einen Weg findet, bei den bevorstehenden politischen Kämpfen wieder zu sich und zu einander zu stehen. Wahlkampf statt Binnengezänk.

 

 

Frankfurt, den 16.Juli


Wie groß ist der Unterschied zwischen  Mann und Frau? 

„Sehr groß!“ sagt der Patriarch und schaut stolz in den Spiegel.
„Variabel,“ sagt die Transfrau, die sich endlich im „richtigen“ Körper fühlt.  „Es gibt überhaupt keinen,“ sagt der Transmann, nachdem er das zweite Kind geboren hat.
Die Feministin sagt: „Er ist rein biologisch. Die öffentliche Rolle von Frau und Mann hängt vom Milieu und von den Epochen ab. Wir streben gleiches Recht für Frauen und Männer an.“
Ich füge hinzu: Die Natur kennt überall gleitende Unterschiede. Hat es nicht schon immer Hermaphroditen gegeben? Im Altertum wurden sie Priester.
Gegenwärtig wird viel über ein neues „Transsexuellengesetz“ geredet. Künftig sollen Menschen einfach zum Standesamt gehen und ihren Geschlechtseintrag sowie ihren Vornamen ändern können, wenn sie das wollen. Sie begründen das Begehren meist mit: „Ich bin in einem falschen Körper!“
Sie sehen den Unterschied zwischen Mann und Frau also biologisch und beklagen einen Mangel an Eindeutigkeit. Aus dieser Sehnsucht nach vermeintlicher Eindeutigkeit  folgt oft der Wunsch nach Hormonbehandlung  und operativer Umwandlung. Aber verwechseln sie in ihrem Kummer nicht das Biologische mit dem Gesellschaftlichen?
Ich frage, wenn immer ich die Gelegenheit finde: Was stellen sich Männer, die ihr Geschlecht wechseln wollen,  denn unter einer Frau genau vor?  Noch nie bekam ich eine schlüssige Antwort. Wenn ich elegante Transvestiten erwähne, dann wird abgewinkt: „Das ist was ganz andres.“  Es hat also nichts mit Mode zu tun? Transmänner – sie sind mir nur im Fernsehen begegnet – haben meistens eine schöne tiefe Stimme und zeigen noch viele Spuren von männlicher Körpersprache – so wie sie sie halt als Jungens gelernt haben.  Sie bekommen dadurch unter Frauen etwas Dominantes, was ihnen z.B. in der Politik nützlich ist. Ja, neulich erklärte sich einer ad hoc zur Frau, um Anrecht auf die Frauenquote zu erhalten (wurde abgelehnt). Mich hat noch nie jemand gefragt, wie ich denn „eine Frau“ definiere? Als vor ca. 60 Jahren mein Ehemann, weil er unter Depressionen litt, zu einem Psychoanalytiker ging, verlangte dieser nach einiger Zeit, mich kennenzulernen. Brav ging ich zur festgesetzten Zeit zu ihm – ich erinnere mich nicht, worüber wir sprachen. Gewiss nicht über meine Wünsche und Sehnsüchte. Später sagte er zu meinem Mann: ich sei „eine 100-prozentige Frau mit starkem männlichen Einschlag,“ was dieser mir gleich berichtete. Ich zuckte mit den Schultern: „Der Mann kann nicht rechnen.“ Sonst wusste ich nichts damit anzufangen. Unsere Ehe wurde nach ein oder zwei Jahren geschieden.
Ich denke viel über das alles nach. Als Feldenkraislehrerin weiß ich, wie „ich“ und „mein Körper“ eins sind; ein Kollege drückte das mal so aus: „Das Baby selbst denkt, nicht ‚sein Gehirn’!“  Ich weiß, welche Glücksgefühle mich in dem Moment durchströmen, wenn die Einheit bewusst und fühlbar wird. Wie solche Einheit als Eleganz sichtbar werden kann. In diesem Bereich spielt ein Unterschied zwischen Männern und Frauen keine Rolle mehr. Dieses Glück ist für alle gleichermaßen erreichbar. „Bewusstheit durch Bewegung“ heißt die Methode, die von Moshe Feldenkrais (1904-1984) entwickelt wurde und die Hunderte seiner Schüler heute weitervermitteln.  Dieses Bewusstwerden seiner selbst kann jeder lernen, der oder die das will.

In der deutschsprachigen Bibel heißt es: Gott schuf den Menschen zu seinem Ebenbild. Wer ist Gott? Allmächtig und unergründlich, heißt es. So dass sich jedes Menschlein – nicht allmächtig,  auch nicht ganz unergründlich  - sein eigenes Ebenbild erschaffen kann. Aber eins, das unterscheidet zwischen „Ich“  und „mein Körper“? „Ich“ wäre Gott und „mein Körper“ nur ein fleischbehangenes Gerippe?  Unsere Vorfahren haben die „Seele“ erfunden. Sie steckte eindeutig im Körper, und beim Sterben entfloh sie. Niemand wusste wohin.
Ich schreibe “deutschsprachig“, weil wir im Deutschen das Wort Mensch haben, das Frauen und Männer gleichermaßen meint.  In vielen anderen Sprachen gibt es nur „Mann“ und „Frau“, auch in der hebräischen Bibel. Und doch hat die jüdischen Tradition  für beide gleichermaßen eine Einheit aus Leib, Seele und Geist geschaffen, und Mosche Feldenkrais war einer der Erben dieser Tradition.  Diese Vorstellung von Einheit zwischen Körper und Geist gebe ich gern weiter – soweit mir die Beschränkungen des Alters noch Möglichkeiten dazu bieten.  Diese Vorstellung ist ein Weg zu Zuversicht und Vertrauen.

 

 

Frankfurt, 21. Juni

Eben les ich "Mathilde", die Darmstädter Frauenzeitung. Was ist "Feminismus", fragen sie dort, oder  was versteht jeder darunter?

Es gibt wohl ein halbes Dutzend Antworten, mehr auch, für den/die, welche die Geduld dafür aufbringen.

Ich habe schon ein Weilchen die Geduld verloren. Wenn jeder Mensch für jeden anderen Menschen Respekt zeigen würde, wenn jeder Mensch von jedem anderen Menschen Respekt erführe, dann wären  diese minimalen Unterschiede, die letztlich jedes Individuum zu einer Welt für sich erklären, unerheblich.

Als in Europa die "Aufklärung" stattfand, da war der "Mensch", der hier gemeint war, frei, gleich und "brüderlich", eben ein Mann., Er besaß genug Einkommen, um sich zu ernähren (und "seine" Familie). Alle anderen - Frauen, Bettler usw. gehörten nicht dazu. Auch solche, die das herrschende Patriarchat nicht als genügend "männlich" betrachtete, gehörten implizite nicht dazu (die "Aufklärer haben sich dazu nich geäußert.). Die als "unweiblich" angesehenen Frauen galten sowieso nichts, weil sie weiblich waren.

Und eben an dieser Ungerechtigkeit knabbern wir noch heute. Statt "knabbern" könnte ich auch sagen: Wir "leiden", wir "stöhnen" unter; wir "kämpfen" gegen, wir erfinden Ausflüchte von...

Was heißt nun Respekt? Keineswegs kann damit gemeint sein, immer höflich und freundlich zu sein, nicht  zu sagen, was man wirklich denkt.

Damit beginnt die Problematik des Respekts: ich muss mir genau überlegen, wie ich sage, was ich denke, ohne möglichst den anderen zu kränken. Das setzt voraus, dass ich mich in den anderen hineinversetze.  Mich frage: was meint der, wenn der was sagt, das ich blöd finde? Wie kommt der darauf? Oder merkt der, dass er/sie mich gerade tief beleidigt? Will er/sie das? Und wenn ich mich errege - was tu ich dann mit meinem Zorn? Werfe ich ihn dem/der andern einfach an den Kopf? Der nun auch zornig wird und womöglich Sachen sagt, die kaum wieder gut zu machen sind?

Es gibt Techniken des Diskutierens, die das zu vermeiden suchen. Es gibt auch Schulen, in denen das gelehrt wird. Aber nicht viele, nicht genug. Und sie erreichen nicht jedes Kind oder jeden Jugendlichen.

Andererseits erlebe ich, dass den Kindern in den Kindergärten  oft jede Frechheit, jede Beleidigung durchgehen gelassen wird, unter dem Motto: das sei "Gedankfenreiheit!" . ...

Ach, dieses Schillerwort ist nicht mehr in Gebrauch, heute heißt das "Meinungsfreheit", wobei viele meinen, ihre jeweilige Wut sei schon eine "Meinung"....

Es herrscht eine Vernachlässigung der Sprache, oft wissen die Leute nicht, was sie wirklich sagen, oder wie man sie auch verstehen könnte, ohne dass sie es merken. So entstehen heute neue "Klassen", das sind Bildungsebenen. Auf einer höheren Ebene können sich die Leute unterhalten, ohne dass Leute von unteren Ebenen irgendwas verstehen. Solche Unterscheidungen bekämpft man nun in der Schulpolitik mit dem Mantra: alle Kinder müssen gleiche Bildungschancen  bekommen. Das geht schon deshalb nicht, weil die Kinder mit 6 Jahren, bei Schuleintritt wahnsinnig verschiedene Voraussetzungen mitbringen. Wo soll der Lehrer dann anfangen? Man müsste die Kinder in verschiedenen Schulklassen sammeln: für manche zum Beispiel würde das erste Schuljahr zwei Jahre dauern. Dass gäbe ihnen eine echte Chance, wird aber populistisch schon als negative Markierung wahrgenommen.

Ja, Respekt allein genügt noch nicht: ohne Bereitschaft zum Lernen verdirbt das ganze Schulwesen. Kinder, die gern lernen, werden da als "Streber" gemobbt, manchmal bis zur körperlichen Verletzung. Geduld und Nervenkraft der Lehrer werden bis zu ihrer Erschöpfung gefordert, zumindest in den Grundschulen.  Älteren Lehrern allgemein ist in Deutschland nicht beigebracht worden, dass sie sich um jedes Kind in der Klasse einzeln kümmern müssten. Was, wenn sie es trotzdem versuchen, zur Überanstrengung führt. An Schulpsychologen wird gespart, zumindest in Frankfurt machte ich die Erfahrung. Vielleicht hat sich da was in den letzten Jahren verbessert?

Ja, es gibt Hoffnung. Aber mehr wohl nicht.

Und wenn Mathilde, unter Erwachsenen, unter Nachdenklichen, die sie sind, wenn sie diese Forderung nach Respekt von jedem und für jeden Einzelnen aufgreifen und diskutieren würde?  Wäre das unrealistisch?

 

 

 

 

 

 

 

Frankfurt, 6. Juni

Beim letzten Eintrag hatte ich die psychologische Diagnose "Impostersyndrom" als frauenfeindlich beklagt. Inzwischen habe ich herausgefunden, dass ich den Sachverhalt falsch verstanden hatte. Nicht die Patientin wurde als "Betrügerin" angesehen, sondern bei der Patientin wurde eine Angst davor diagnostiziert, andere könnten sie als "Betrügerin" betrachten, weil sie bessere Noten  an Schule oder Uni erreicht als jene. Anscheinend ist das inzwischen gang und gäbe: nicht nur als '"Streber" werden erfolgreiche Mitschüler und Kommilitonen beschimpft, sondern glatt weg als Hochstapler oder Betrüger. In meinem Fall, auf den ich micdh bezog,  gehörte die Betroffene zur Gruppe der Tamilen in Deutschland. Tamilische Eltern spornen ihre Kinder an, fleißig und nachdrücklich zu lernen, damit sie sich besser in der Fremde behaupten können.

Nach mehreren Erfolgen jedoch wurde der Frau bewusst, dass sie ihre Anstrengungen überzogen hatte - vielleicht eine Art Burn-out erlitten hatte, was sie aber nicht so nannte. Nun entdeckte sie die Segnungen des Atemholens, des sich Zeitnehmens. Was mich dabei in die falsche Richtung gelockt hatte, waren die Schuldgefühle, die die Frau mit dieser Überanstrenung offenbar auch nachträglich noch verband.  Sie hatte gebüffelt, sie hatte Erfolg gehabt  - sie brauchte Erholung. Wieso musste sie das mit Schuldgefühlen verbinden?

Den Artikel fand ich in "Wir Frauen", Jahrgang 41, Nr. 2/2022. Er ist mit "Der endlose Zirkel" überschrieben - meiner Treu! - hat  ein "Zirkel" nicht definitionsgemäß kein Ende??

 

 

 

 

 

Frankfurt, 4. Juni

Am 4. Juni gabs einen technischen Fehler, ich kam nicht ins Netz. Darum jetzt hier der 5. Juni

(Dank an meinen Administrator)

Handgeschrieben oder nicht?

In meinem Tagebuch für den Alltag schreibe ich immer mit der Hand. Im Webtagebuch aber notgedrungen mit der Tastatur. Zwar schreib ich nicht immer gleich den ersten Entwurf ins Webtagebuch, sondern korrigiere und ordne ihn erst in meinem eigenen Speicher. Aber dann mit der Maschine, nicht mit der Hand.

Es kommt mir immer so vor, als entwickle ein erster Entwurf sich anders, wenn er mit der Hand geschrieben wird – aber wie soll ich das beweisen? Einen ersten Entwurf kann man nur einmal schreiben, es gibt keine Vergleichsmöglichkeiten. Ich weiß nur: wenn ich was mit der Hand schreibe, und ich entdecke bei der Entwicklung der Gedanken neue Wege, so befriedigt mich das tiefer, körperlicher, als wenn mir Ähnliches an der Maschine zustößt. Manchmal steh ich nachts auf, weil mich das Grübeln nicht wieder einschlafen lässt, und schreibe anderthalb Seiten mit der Hand ins Tagebuch. Danach fühle ich mich so erleichtert und frei, dass ich sofort wieder einschlafe.

Mir scheint, das Mit-der-Hand-Schreiben hat eigene Wirkungen im Körper. Das Aufgeschriebene hat unmittelbar mit mir zu tun, mit meiner Gesinnung, mit meinen Ängsten, mit meiner Sehnsucht. Direkter als das, was ich im Computer hinterlasse. Nur, dass ich das nicht beweisen kann.

Gedichte habe ich übrigens fast immer mit der Hand geschrieben.

Vor einigen Tagen präsentierte sich eine taz-Redakteurin mit einer Glosse, die das Erlernen einer Handschrift in der Schule für überflüssig und lästig erklärte: den Schüler*innen schmerzten Finger, Handgelenke, Arme, Schultern. Die Glosse war tatsächlich mit der Hand in gehorsamer schulmäßigen Druckschrift geschrieben. Druckschrift? Bedeutet mit der Hand schreiben, also Handschrift nutzen, nicht, die Buchstaben zu Worten aneinander zu binden? So dass die Schrift fließt? Vielleicht lernt man das heute in der Schule gar nicht mehr? Aber ist damit nicht die eigentliche Handschrift schon aufgegeben?

Jedenfalls bezeugte die Redakteurin, dass ihr das Schreiben schon nach 10 Minuten so weh tat, dass sie pausieren musste.

Beim Nachdenken über die Unterschiede bemerkte ich: Maschinen werden umso nützlicher, je leichter und einfacher sie zu bedienen sind. Menschen sind umso klüger, schöner, menschlicher, je differenzierter sie werden. Wer Menschen den Maschinen angleichen will, macht sie geistig ärmer. Computer-Spezialisten verfügen oft nur noch über eine dürftige „natürliche“ Sprache. Menschen, die viel lesen, werden oft geschickte Rhetoriker – sie verfügen über ein großes Vokabular, über vielfältige Ausdrucksmittel.

Das sind grobe Einteilungen, ich weiß. Die Tage las ich von einer jungen Frau, die sehr gründlich studiert hatte, viel gelernt, mit Erfolg, und darüber zeitweise die Verbindung zu den Menschen verloren hatte. So fand sie Zuflucht in der Pyschotherapie und diese überzeugte sie davon, dass sie der Krankheit des „Impostersyndroms“ verfallen war. Ein „Imposter“ ist ein Betrüger oder ein Hochstapler.

Wie konnte das passieren? Sie kam aus einfachen Verhältnissen, hatte sich hochgearbeitet, denn es stellte sich heraus, dass sie eine glänzende Auffassungsgabe besaß und ein zuverlässiges, rasches Gedächtnis. Das sind Begabungen, die einem in die Wiege gelegt werden. Ihr Problem bestand nun darin, dass ihre Umgebung ihr rasches, leichtes Lernen nicht ertrug. „Du lügst“ sagte man ihr, wenn sie erzählte, wie schnell sie einen Stoff kapiert und behalten hatte. Darunter litt sie.

Und deshalb redete ihr der Therapeut, der womöglich selbst neidisch war auf die begabte Patientin, ein, sie sei eine Hochstaplerin! Wie kann man eine Frau als „Imposter“ diagnostizieren! Das ist ja, als würde sie von einem Gericht verurteilt!  Dagegen kann sie sich nicht wehren oder braucht mindestens zehn Jahre, um das zu verstehen und wieder zu überwinden. (Kommentar siehe Eintrag vom 6. Juni!)

Die geistigen Fähigkeiten eines Kindes entwickeln sich früh, eigentlich vom ersten Tag an. Das Kind braucht im ersten Jahr Zuwendung, Aufmerksamkeit, Berührung, Gespräch – also Vorbild. Das gibt ihm eine Basis an Selbstvertrauen – auch danach noch, mindestens bis drei. Am bestem bis zehn, oder für dauernd. Respekt für den Anderen.

Wenn der Respekt für den Anderen überall selbstverständlich wäre, dann würde  übrigens der Antisemitismus sehr viel von seiner Bedrohlichkeit verlieren. Auf der Grundlage von Respekt würden mehr nichtjüdische Landsleute als bislang Interesse für jüdsche Geschichte hierzulande entdecken können.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Frankfurt, 10. Mai

Am 9. Mai lag der taz eine Sonderbeilage mit Texten aus einem der letzten bis vor kurzem noch unabhängigen russischen Medien bei, das jetzt wie alle andern in Russland verboten ist: die "Novaya Gazeta Europe". Für die Novaya Gazeta schrieb, als sie noch nicht der Zensur unterlag, Anna Politkkowskaya - erinnern Sie sich noch an den Namen? Sie wurde am 7. Oktober 2005 vor ihrer Moskauer Wohnung erschossen. Zwei Jahre zuvor hatte sie ein Buch mit dem Titel "Putins  Russland" verfasst, das rasch in viele Sprachen übersetzt wurde. Und doch hat es keiner im Westen ernst genommen, nicht wirklich. Politkovaya beschrieb Putin kurz vor seiner 2. Wahl im Mai 2004 als einen "typischen Oberstleutnant des sowjeitschen KGB, mit dem engstirnigen Weltbild eines Oberstleutnants sowie dem unscheinbaren Aussehen eben desselben - Putin, der es nicht einmal bis zum Oberst gebracht hat und Manieren eines sowjetischen Geheimdienstpolizisten hat, der daran gewöhnt ist, seine eigenen Kameraden professionell auszuspionieren ........"  und beklagt, dass dieser Mensch nun über die Russen herrscht.  Dass die Russen nicht im Stande waren, sich zu wehren. Nicht einmal der Westen habe was an ihm auszusetzen gehabt - vor allem Berlusconi wirft sie das vor. Aber auch Tony Blair, Gerhard Schröder und George W. Bush.

Die Novaya Gazete Europe der taz vom 9. Mai 22 enthält einen weiteren Artikel, der an die Wurzeln des heutigen Übels greift. Er ist betitelt: "Putin ist der zweite Stalin. Vom Kult des Sieges zum Kult des Krieges: Der Kremlchef hat eine neue Ideologie für Russland im 21. Jahrhundert geschafffen. Sein Kampf gegen den Faschismus ist ein Fake - wie alles, was er tut."

Die Autorin, Julia Latynina, entwickelt ein mir bisher unbekannes Bild von Stalin. Sie schildert, wie der Westen Stalin gegenüber Hitler als das geringere Übel darstellen wollte, obwohl der in den ersten zwei Kriegsjahren ein Verbündeter von Hitler war! In diesen zwei Jahren "eroberte Stalin einen Teil von Polen, Litauen, Lettland, Estland, den Westen der Ukraine", u.a. Dies also in den beiden ersten Jahren des 2. Weltkrieges! Der sogenannte  "große Vaterländische Krieg" begann erst im Juni 1941, als Hitler sich besann und nun seinerseits Stalin angriff.

Da hatte Stalin aber schon den ungeheuersten Terror gegen die eigenen Leute ausgeübt. und zur Regel erhoben Er wollte von Anfang einen  Krieg gegen die ganze Welt, es ging ihm nur um Rüstungsindustrie, die um jeden Preis aufgebaut werden sollte, nicht um eine Bersserung der Lebensverhältnisse,  schreibt Julia Latynia.

Hitler wollte also im Prinzip das Gleiche, so wurden sie irgendwann zu  Konkurrenten - oder bemerkten das erst irgendwann....

Ich lese  diese Geschichte, bin entgeistert. Es passt ja alles zusammen; und wenn nun Putin die gleichen Ziele wie Stalin verfolgt, so scheint es logisch, dass er nun auch "Memorial" verbietet und verfolgt,  den Verein, der Stalins Verbrechen in Erinnerung halten will.

Es steht noch sehr viel mehr in dieser Beilage zur taz. Bitte guckt euch das selber an. Ob sich Herr Schlögel, Professor emeritus der Geschichte von Osteuropa, dazu äußern möchte? Ich denke, viele wären ihm dankbar.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Frankfurt, der 8.Mai

Der Ukraine-Krieg bedrückt mich über die Maßen - er hat nur einen Sinn: vernichten, zerstören. Nicht dulden, was dem Herrscher missfällt.  Wenn Mariupol absolut leer von Menschen ist, werden die Siegerflaggen  gehisst. Die Ukrainer missfallen dem Herrscher, weil sie klüger, freier und tüchtiger sind als seine eigenen Untertanen. Sie streben nach Demokratie!  Unerhört! Darum nennt der Herrscher sie "Nazis".  Seine  eigenen Untertanen hören nichts anderes, und sie wissen, wer Nazi ist, wird umgebracht oder vergewaltigt.

Wen es direkt betrifft, für den ist es unerträglich.

Hier ein Gedicht über die Fantasie:

 

WENN DER LAHME WEBER TRÄUMT

von Clemens v. Brentano.

Ausgewählt und kommentiert von Roger Willemsen

 

Wenn der lahme Weber träumt, er webe


Träumt die kranke Lerche auch, sie schwebe 


Träumt die stumme Nachtigall, sie singe


Daß das Herz des Widerhalls zerspringe 


Träumt das blinde Huhn, es zähl’ die Kerne 


Und der drei je zählte kaum, die Sterne


Träumt das starre Erz, gar linde tau’ es 


Und das Eisenherz, ein Kind vertrau’ es 


Träumt die taube Nüchternheit, sie lausche


Wie der Traube Schüchternheit berausche; 


Kömmt dann Wahrheit mutternackt gelaufen


Führt der hellen Töne Glanzgefunkel 


Und der grellen Lichter Tanz durchs Dunkel


Rennt den Traum sie schmerzlich übern Haufen


Horch! die Fackel lacht, horch! Schmerz-Schalmeien 


Der erwachten Nacht ins Herz all schreien; 


Weh, ohn’ Opfer gehn die süßen Wunder


Gehn die armen Herzen einsam unter!

 

Lauter Mangelhafte träumen. Der mit dem Schaden aber, die mit dem Verlust, sie träumen reicher. Denn nur wer versehrt ist, kann träumen, komplett zu sein. Clemens Brentano war ein Märtyrer des Mangels. Seine Frau überlebt die Geburt des dritten Kindes nicht, die Geschwister starben früher. Es scheitern seine Kaufmannslehre, die Bühnenautor-Laufbahn, die zweite Ehe, und endlich stirbt der Mann, der die Visionsprotokolle einer stigmatisierten Nonne erstellt, doch gleichwohl den Ruf eines Satanisten erworben hatte, tief schwermütig in Aschaffenburg.

1838, vier Jahre vor seinem Tod, schwingt er sich zu einer biblischen Wundergeschichte auf, gefasst als Kinder-Phantasie. Alles heilt die Traum-Realität. Hier spielen die Verse Musik, hier werden Erz und Traube, Wahrheit und Nüchternheit menschlich, hier triumphiert die Unvernunft gegen die Rationalität und erlaubt sich selbst Nonsens. Dass es so ist, adelt den Mangel. Wann wäre trauriger und kühner von der Geburt der Poesie aus dem Geist der Entbehrung fabuliert worden?  Roger Willemsen

 

Clemens Brentano
 Gedichte 
Reclam, Ditzingen 1995. 253 S., 5,60 €

*        *       *

10. Mai

Darf ich das so stehen lassen?  Es geht mir um die "Fantasie", die Mängel kompensieren kann. Brentano war pessimistisch, Willemsen schreibt, wieso.  Wissen wir nicht heute, das auch Lahme, Blinde, Unwissende einen Weg zum Glücklichsein finden können? Ihren eigenen Weg? So gehe ich davon aus, dass die Ukrainer trotz der unerhörten Verluste, die sie erleben, so viel Fantasie besitzen, dass sie sich werden behaupten können. Wenn ich höre und lese, wie sich die Geflüchteten im Exil zurechtfinden, fühle ich mich bestätigt. Einschließlich der vielen Muttersprachler-Lehrerin/nen, die in den Fluchtländern die ukrainischen Kinder in den vorhandenen Schulern unterrichten dürfen. Einschließlich deren Bereitschaft, die örtliche Sprache zu lernen.....

 

 

 

     

 

 

Frankfurt, 26. April

Vor drei Wochen nahm ich an einem Workshop teil; hier nun der Bericht, den ich kurz danach aufschrieb. Ich gab mir vor der Veröffentlichung eine Denkpause....... redigierte noch ein bisschen. Der Bericht spiegelt meine Gefühle kurz nach dem Erlebnis.

 

10. April 2022

Persönlicher Bericht

vom Online-Workshop „Argumentationstraining gegen Antisemitismus“ der LZ für politische Bildung Mainz, am 8. / 9. April 2022

 

Am Freitag drei Stunden, am Samstag sechs Stunden intensive Aufmerksamkeit für das Geschehen am Bildschirm – das Workshop lief über Zoom. Ziel war, Argumente zu lernen, um antisemitischen Behauptungen widersprechen zu können. Ich war die vollen neun Stunden zugegen. Von der Anstrengung habe ich nichts bemerkt. Doch in der Nacht zum Sonntag habe ich tatsächlich dreizehn Stunden hinter einander geschlafen! Das war mir noch nie passiert, solange ich mich erinnere. Aber ich wachte ausgeschlafen auf und konnte viel besser laufen als die Tage zuvor.

Was ist in den neun Stunden geschehen?

Am Anfang stellten wir uns vor, dreizehn Teilnehmer/innen, davon – glaube ich – drei mit jüdischem und zwei mit muslimischem Hintergrund. Die meisten waren Lehrerinnen. Sie brauchten Ratschläge für die Schule: wie vorgehen, wenn Schüler sich antisemitisch äußern? Man darf das nicht stehen lassen, aber spontan fallen einem oft nicht die richtigen Worte und Gedanken ein. Das ging fast jedem so. Um das zu verbessern, darum waren sie da. Waren wir da. Geleitet wurde das Workshop von einer Spezialistin für Argumentations-Training und von einem Soziologen, dessen wissenschaftlicher Forschungsbereich auch Antisemitismus umfasste.

Zweck der Veranstaltung sollte sein, den Beteiligten Instrumente an die Hand zu geben, um die richtigen Argumente zu finden. Doch biete sie kein „Instrumentenköfferchen“, das man bloß zu öffnen brauche! wurden wir gewarnt.

Es ging zunächst darum, sich selbst zu sensibilisieren, darum, das Vorurteilhafte zu erkennen, die eigene Sprachlosigkeit zu überwinden. Zu dem Zweck erhielten wir Aufgaben. Wir machten uns Gedanken über Vorurteile und über den Begriff „Antisemitismus“; dieser wurde aufgeschlüsselt nach „Begriff, Erscheinungsform, Inhalten und Funktionen“. Es wurde erläutert, dass der Begriff selbst schon antisemitisch sei. Unter „Erscheinungsform“ wurde u.a. gesagt, die tatsächliche Zugehörigkeit zum Judentum spiele keine Rolle, auch andere könnten als „Juden“ gesehen und beschimpft werden.

Ich meine: das trifft manchmal zu, meistens nicht. Die Lehrenden aber stützten sich auf diese Sicht, um auch im Folgenden ein Wissen über jüdische Besonderheiten, ein Wissen über jüdische Geschichte für irrelevant zu halten. Damit bin ich nicht einverstanden.

Ich hatte schon bei meiner Vorstellung mein Interesse an der gemeinsamen deutschjüdischen Geschichte erwähnt und dass jeder sie kennen sollte. Vielmehr sagte ich, dass leider sie fast niemand kenne.

Ich lerne: in Zukunft sagen: dass jeder sie kennen sollte. Ferner: jeden Antisemitismus, der mir begegnet, will ich auf wirkliche Juden beziehen, weil er sonst sinnlos ist.

Weiter erfuhren wir: Zu den Erscheinungsformen des Antisemitismus zählt u.a., dass er entweder in einem „offenen Weltbild“ vorkommt oder in einem „geschlossenen“, wo er eher unbewusst existiert und daher nicht zugänglich ist. In offenem Weltbild hingegen können Argumente was bewirken. In dem Antisemitismus gegen Israel fallen die „drei D“ auf: Doppelstandards, Delegimitisation und Dämonisierung, an denen man das Antisemitische erkennt.

Unser Soziologe gab nun einen ca. halbstündigen „Impuls“, d.h. er hielt ein Referat zur historischen Entwicklung des Antisemitismus. Er führte im wesentlichen durch zweitausend Jahre deutscher, römischer oder europäischer Geschichte, hauptsächlich aus der Sicht eines deutschen Soziologen. Das nehme ich so an, weil ich bemerkte, dass es keine spezifisch jüdische Sicht in seiner Darstellung gab, auch keine französische Revolution, sondern nur die Aufklärung. Er erwähnte, dass nach der Reichsgründung 1871 der Antisemitismus zunahm. Doch erwähnte er nicht, dass die Juden im ganzen deutschen Reich 1871 zum ersten Mal seit Jahrhunderten dieselben Bürgerrechte erhielten wie die anderen Deutschen! Ihnen standen nun (fast) alle Berufe offen! Das beunruhigte all jene gewaltig, die noch im Bisherigen, z.B. im Zunftwesen verhaftet waren. Als die wirtschaftliche Entwicklung von der kleinen Handwerkerwerkstatt zur Industrialisierung tendierte, da entstanden politische Parteien, die z.B. die Stimmen der Handwerker für sich gewinnen wollten, indem sie riefen: die Juden sind schuld, wenn ihr eure Arbeit verliert! In Wirklichkeit war es eine nicht mehr aufzuhaltende Entwicklung zur Massenproduktion. Aber ihre Behauptung schloss sich im Kopf der Betroffenen problemlos an den Katechismus-Unterricht an, in dem jedes Kind gelernt hatte: die Juden haben unsern Herrgott ans Kreuz gebracht.

Aus Zeitmangel konnte ich dieses Argument, diese Sicht, nicht vorbringen. Doch wagte ich eine Gesamtkritik am Referat, indem ich seinen Blick auf die Geschichte als ungenügend betrachtete. Darin kamen die Antisemitismen viel klarer und verständlicher rüber und erhielten durch ihre Plastizität mehr Gewicht als die lange Geschichte im Schnelldurchgang.

Über Nacht machte ich mir Vorwürfe wegen meiner Kritik, ich wollte unseren Soziologen ja nicht kränken. Immerhin hat er mir zugestanden, dass ich aus einem „humanistischen“ Interesse heraus gesprochen hätte.

Am nächsten Tag hörte ich von ihm etwas Geschichtliches, das ich bis dahin nicht gewusst hatte: Die christlichen Spanier waren 1492 die ersten, die Juden aus Gründen ihres „Blutes“ verfolgten, also die ersten, die einen rassistischen Vorwurf erfanden. Der dann im 19. Jahrhundert bekanntlich seine Blütezeit antrat.

Unter anderen Aufgaben wurde ein „Rollenspiel“ durchgeführt, zu dem maximal fünf Teilnehmer/innen zugelassen waren. Es fanden sich fünf Freiwillige. Es war nicht leicht, auf Bildschirmkacheln ein Gruppengefühl zu entwickeln. Aber es gelang. Zwei Teilnehmerinnen traten als Antisemiten auf, drei widersprachen ihnen. Die mutigen Zwei berichteten anschließend, wie sehr sie die Rolle aufgeregt habe, wie zwiespältig ihre Gefühle wurden. Über diesen Zwiespalt wurde nicht geredet, aber viele verstanden ihn offenbar. Auch die jüdischen Teilnehmerinnen sprachen nicht darüber.

Ich lerne: die Antisemitismen kennt in Deutschland jeder „Eingeborene“, und sie bewahren selbst dann noch eine gewisse Wirkung, wenn der betreffende Mensch sie vollständig ablehnt.

Umso wirksamer erschienen mir die nachfolgenden Ratschläge: wir sollten die Aussagen analysieren, ihre Voraussetzungen erkunden. Was will der Sprecher selbst in diesem Moment? Welche Gefühle bewegen ihn? Wie kommt er darauf? Auf welche seiner Bedürfnisse passen sie?

Der Soziologe begründete den Umstand, dass es heute immer noch Antisemitismen gibt, damit, dass sie immer noch „funktionieren“. Er sagte leider nicht, warum.

Die Frage blieb offen. Ich stellte sie mir selber. Heute ist ein neuer Tag, ich habe weiter nachgedacht. Ich lerne weiter. In allen Gesprächen muss ich die Perspektive des Anderen in meine Rede einbeziehen, und das gilt nicht nur für Gespräche, die ich mit Juden führe, hier oder in der übrigen Welt, sondern für alle. Dabei den eigenen Standpunkt bewahren, das ist Voraussetzung – eine sehr schwere Aufgabe. Das weiß ich. Dennoch möglich.

Vieles ist mir klarer geworden. Etwa, woher die Abwehr kommt, die Haltungen, die ich auch diesmal spürte, wenn ich auf die Geschichte der Juden in Deutschland aufmerksam machen wollte, die auch unsere gemeinsame Geschichte ist. Im Rollenspiel zeigte sich: Die Juden umgibt in unseren goijschen 1 Gehirnen ein mythischer Schimmer, etwas Ungreifbares, das Angst macht; die Angst lässt sich nicht erklären, man spricht darüber am liebsten nicht. Das macht ein schlechtes Gewissen, das Schuldgefühl bleibt diffus. Dazu kommt die Shoa.

Deswegen ist es mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass die nachgeborenen Deutschen keine Schuld tragen, sondern Verantwortung. Diese Verantwortung lässt sich nicht abschütteln.

Übrigens reicht meine Sicht auf die „gemeinsame Geschichte“ nur bis 1933. Was danach kommt, gehört ins Gedenken, ist ein neues Kapitel. Darum äußere ich mich nicht zu den Antisemitismen der in Deutschland lebenden muslimischen Migranten. Freilich, die Lehrer/innen, sie müssen Stellung nehmen. Wäre es nicht auch für sie eine Erleichterung, die deutsch-jüdische Geschichte zu kennen? Sie wüßten dann wenigstens, wie es zum Holokaust kam, und könnten diese Geschichte von der israelischen unterscheiden, müssten die betreffenden Äußerungen nicht unter dem gleichen „Antisemitismus“ unterbringen wie den unsrigen, könnten also auch hier unterscheiden.

Ein letztes: heute morgen, nach dem Aufstehen, fing ich unversehens an zu singen. „Ganz Paris träumt von der Liebe, denn dort ist sie ja zuhaus....“. Wie komme ich bloß darauf? wunderte ich mich. Mir fiel ein, dass ich gestern das Lied in einer Diskussion genannt hatte. Der Soziologe hatte in etwa gesagt: eine erfundene Eigenschaft nehme dem Gegenstand seine Realität, mache ihn gewissermaßen unwahr. Ich hatte eingewandt, dass ganz viele Leute diesem Lied Glauben schenkten und deswegen bis heute nach Paris führen. „Ist das keine Realität?“ Der Soziologe hatte darüber gelächelt. So kam mir heute morgen der Gedanke: wäre die ganze Frage des Antisemitismus nicht auch dadurch zu lösen? Durch Liebe? Ob das Lied wohl heute morgen noch jemandem anders aus der Gruppe in den Sinn gekommen ist?
 

1) Von der jiddisch-hebräischen Bezeichnung Goy, Goyim für alle Nichtjuden

 

 

 

Frankfurt, 7. April

Der Frühling ist stecken geblieben im kalten heftigen Wind.  Was blüht, das blüht weiter, aber unfröhlich; die Knospen bleiben verschlossen. Es ist, als streike der Frühling gegen den Krieg.

Ich habe mir, wie viele Menschen, Gedanken darüber gemacht, wie er hätte vermieden werden können. Wer ist schuld daran? Aber jetzt? In meiner Kindheit bin ich von Kriegsgreueln verschont geblieben; ich kannte aber viele, die vor nichts mehr Angst hatten als vor der Drohung "Die Russen kommen!". Wenn ich in den letzten Jahren hörte, wie die Polen bei den Amerikanern um Waffen buhlten, um sich gegen die Russen zu schützen, so habe ich das nicht wirklich verstanden. Aber jetzt erfährt jeder, ob er will oder nicht, dass der Krieg der Russen  besonders grausam ist.  Sie marschieren einfach ein und stürzen sich in die Barbarei.

In einem ukrainischen Serienfilm, den ich mir vollständig angeguckt habe, er hieß "Diener des Volkes", da hatte der verzweifelt gegen Korruption ankämpfende Präsident  zwei Mal eine Vision: ein mythischer Russenherrscher riet ihm zu allem, was so ein alter Herrscher verfügen konnte: Zwangsheirat, Mord, Grausamkeit. Gewalt. Es klang verführerisch. Und der Präsident raffte sich auf und entgegnete: das geht heute nicht mehr, wir sind eine Demokratie, wir sind Europäer! Der Film kam 2015 heraus.

Und so sehe ich, dass "die Russen" immer noch morden, plündern, vergewaltigen und zerstören, zerstören, erstören.  Sie entsprechen allen Vorurteilen. Nicht die Russen allgemein - aber das Militär lässt sich noch dazu herab. Oder wird von der Regierung dazu aufgefordert. Diese trägt  die eigentliche Verantwortung für diese Schande.

Frieden heißt die Zukunft, über Frieden sich Gedanken machen, ist Notwendigkeit. Ich habe darüber einen Aufsatz geschrieben, der diese Woche in "kulturissimo", einer Beilage des luxemburgischen "Tageblatt", erscheinen wird:

Kann man Frieden erobern?

Von Barbara Höhfeld

Ich habe mir die berühmte ukrainische Serie „Diener des Volkes“ angesehen, und obwohl ich kein Ukrainisch verstehe, wurde ich, auch mit Hilfe der Untertitel, in das Geschehen hineingezogen, musste lachen oder zumindest schmunzeln und freute mich an der gescheiten Lebhaftigkeit der Darsteller. Die Handlung zeigt, wie ein einfacher Geschichtslehrer zum Staats-Präsidenten gewählt wird. Zunächst wird den Zuschauern das unglaubliche Maß an Korruption vorgeführt, an der sich fast alle, auch einfache Leute, beteiligen, manche fröhlich, wenn der Vorteil auf ihre Seite fällt, manche unterwürfig, wenn sie nur gehorchen. Sie zeigt weiter, wie der frisch Gewählte sich bemüht, sich aus den Schlingen der Bestechlichkeit zu befreien und den übertriebenen Luxus abzuschütteln, mit dem der Neuling eingelullt werden soll. Alles in Form einer Komödie, mit Tempo und Witz. Die Serie besteht aus 23 Folgen. Obwohl Komödie, macht sie die Eroberung des Friedens anschaulich. So anschaulich, dass nach dem Ende der Serie, bei den normalen Wahlen im Lande - unvorstellbar! - der Hauptdarsteller der Serie, nämlich der Schauspieler Wolodymyr Selenski, zum echten Präsidenten der echten Ukraine gewählt wurde, bei einer Mehrheit von 71 Prozent der Stimmen. Im Film vorher waren es nur 67 gewesen!

Konnte Putin diesen Anblick von Demokratie nicht ertragen, so dass er dagegen in den Krieg ziehen musste?

Die Autoritären, die Antidemokraten pflegen sich bestimmte Aspekte aus ihrer nationalen Geschichte heraus zu fischen, malen sie sich bunt aus und blasen sie auf – und verschweigen andere Seiten dieser Geschichte oder bekämpfen sie. Auch das macht uns Putin jetzt vor.

Wer allgemeine Geschichte studiert, wird nicht umhinkommen, sich stärker für die eine oder andere Epoche zu interessieren, sich auf Regionen zu spezialisieren. Stella Ghervas, eine 1970 in Moldawien (oder Moldau) geborene Historikerin, studierte zunächst in St. Petersburg Philosophie und Politologie. Hielt sich also die meisten Möglichkeiten noch offen. Von dort ging sie nach Bukarest, studierte Geschichte. Sie bekam ein Stipendium für die Schweiz – ein Glücksfall, der ihr den Zugang zur Welt öffnete. Zwanzig Jahre verbrachte sie in der Schweiz: an der Genfer Universität belegte sie „Europäische Studien“, hatte bald auch kontinuierlichen Kontakt zur UNO. An dieser Universität hielt sie dann Vorlesungen zu den Themen Geistesgeschichte, kulturelle und politische Geschichte, sowie Internationale Beziehungen. An den Universitäten Chicago, Alabama in Birmingham und an der Harvard-Universität ebenfalls. Als Professorin für russische Geschichte lehrt sie seit 2018 an der Newcastle Universität.

Während dieser ganzen Zeit forschte sie ständig weiter, veröffentlichte Bücher und Aufsätze. So ergab es sich, dass sie sich in die Gründungsverträge der EU vertiefte und darin mit größter Häufigkeit dem Wort „Frieden“ begegnete. Ihr wurde klar, dass die übliche Geschichtsschreibung sich mit „Krieg“ beschäftigt, nicht mit Frieden. Nun studierte sie europäische Friedensverträge; zuletzt fasste sie ihre Erkenntnisse in einem Buch zusammen:„Conquering Peace“ (Conquering Peace: From the Enlightenment to the European Union, Harvard University Press, 2021).  Ja, auch Frieden will „erobert“ werden, erarbeitet, könnte man sagen, immer wieder aufs Neue.

Das vor einem Jahr erschienene Werk ist keine Verherrlichung des Pazifismus; nein, Ghervas betrachtet mit den Augen einer strengen Historikerin, wie einzelne Friedensverträge abgefasst waren, was sie voraussahen, was sie bezweckten, welche Dauer sie für den Frieden erwarteten. Kein Historiker vor Ghervas hat solche Fragen gestellt.

Wenn ich die Orte ihres Studierens nenne, so, weil sie etwas bedeuten: Stella Ghervas hat geistige Vielfalt kennengelernt. Sie kennt auch die dazugehörigen Sprachen. Sie weiß, wie Demokratie funktionieren kann. Doch muss ich noch eins hinzufügen: als sie zwanzig war, zu Beginn ihrer Studien, kam  in der Sowjetunion Gorbatschow an die Macht. Gorbatschow öffnete sein Land, gewährte den Sowjetrepubliken mehr Selbständigkeit, wenn sie es wollten, und sprach vom „Haus Europa“. Er hat den „Kalten Krieg“ beendet, er ermöglichte die Wiedervereinigung von Deutschland mit einem Vertrag, der einen Schlussstrich unter den Zweiten Weltkrieg zog. Für Stella Ghervas wurde Gorbatschow zum politischen Vorbild. Innerhalb Russlands allerdings verlor Gorbatschow nach und nach seine Anhänger, er musste 1991 zurücktreten. Wie mir einer, der seine Herrschaft noch selbst erlebt hat, berichtete: die neu gewonnene Freiheit führte dazu, dass alle Ware auf den Schwarzmarkt floss und die einfachen Läden leer waren! Es drohte eine Hungersnot.

Aber von Westen aus gesehen, war diese Epoche ein Fenster zur Demokratie, zum Frieden, und, wie sich bald herausstellte, geöffnet nur für eine kurze Zeit. Der Westen hat diese Zeit verpasst, er hat die Chance gar nicht wahrgenommen, die Vorurteile waren zu stark. Das Fenster schloß sich, der Aufstieg Putins begann. 1999 stellte er fest: „Für die Russen ist ein starker Staat keine Anomalie, die es loszuwerden gilt. Ganz im Gegenteil – sie betrachten ihn als Quelle und Garanten der Ordnung und als Initiator und Triebkraft jeden Wandels.“ (Zitiert nach Catherine Belton, Moskau-Korrespondentin der “Financial Times“, aus ihrem Buch „Putins Netz. Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste“, erschienen 2022 bei Rowohlt.)

Wenn wir an Demokratie gewöhnten Westler dort hinter die Kulissen schauen, sehen wir vor allem Korruption – die populäre Serie der Ukrainer zeigt, welche Auswüchse in dieser Hinsicht denkbar sind. Offenbar steckt viel Geld dahinter. Die sogenannten Oligarchen.....

Stella Ghervas hat durch dieses Fenster ihren eigenen Weg gefunden: der Frieden will erobert werden. Das heißt auch: über den Frieden muss nachgedacht werden. Sie tut das in ihrem gleichnamigen Buch, in dem sie fünf europäische Friedensverträge untersucht. Das sind:

Der Frieden von Utrecht im Jahr 1713; der Wiener Kongress, der 1814 bis 1815 stattfand; der Vertrag von Versailles (1919); die Entstehung der Europäischen Gemeinschaften in den 50ern und die Gründung der Europäischen Union durch den Maastrichter Vertrag von 1992, der nach dem Zerfall der Sowjetunion geschlossen wurde.

Der Frieden von Utrecht beendete den „Spanischen Erbfolgekrieg“ zwischen England und Frankreich, der in 13 Jahren über eine Million Menschenleben gekostet hatte. Er bestand aus mehreren Verträgen; hier beugten sich zum ersten Mal absolutistische Herrscher dem Vertragsrecht! ( Bei meinen Recherchen hierzu entdeckte ich, dass die gegenwärtigen Probleme Kataloniens mit der spanischen Zentralregierung auf den Frieden von Utrecht zurückgehen!) Sie unterschrieben einen “Ewigen Frieden“: „Möge nun im Namen des allmächtigen Gottes ewiger Friede zwischen Prinzessin Anne, der Königin von Großbritannien, und Prinz Ludwig XIV., dem Herrscher der Christenheit und ihren Nachfolgern und Erben herrschen“, hieß es im Text.

Der Wiener Kongress beendete die Napoleonischen Kriege, genau hundert Jahre später. Unter Metternichs Einfluss – er war österreichischer Staatskanzler – wurden in Europa die Grenzen neu gezogen, der „Deutsche Bund“ entstand, Frankreich – obwohl nach Napoleons Verschwinden politisch schwach - blieb eine Großmacht. Metternich strebte ein „Gleichgewicht der Kräfte“ an; in Europa sollte kein Staat stärker sein als ein anderer. Darüber hinaus vertrat Metternich eine monarchistische, ständische, antinationale Politik. Dagegen erhoben sich revolutionär-liberale-nationale Bestrebungen, die Metternich mit aller Gewalt zu unterdrücken versuchte.1848 wurde er gestürzt, musste flüchten.

Der Versailler Vertrag stand, im Gegensatz zu Metternichs Motto vom „Gleichgewicht der Kräfte“, in einem Lichte von Vergeltung und Demütigung. Nationalismen und Konkurrenz beherrschten das Denken.

Frieden aber braucht Kooperation, Gleichberechtigung. Diese und ähnliche Ideen brachen sich erst nach 1945 wieder Bahn. Als vollberechtigtes Mitglied war Luxemburg an der Gründung der Europäischen Gemeinschaften beteiligt. Die erste Gemeinschaft von 1952 hieß „Montanunion“ und entstand noch im Schatten des Krieges: Deutschland sollte nie mehr allein über Kohle und Stahl bestimmen, weil sie Grundlagen der Rüstung waren. „Schumanplan“ hieß das im Volksmund, welch ein friedlicher Name! Das Vertragswerk, „national“, aber nicht „nationalistisch“ gesonnen, verband zunächst sechs europäische Länder, erweiterte sich 1958 um „Wirtschaftsgemeinschaft“ und „EURATOM“ und besteht heute aus insgesamt 27 europäischen Ländern. 1992 verwandelten sich diese „Gemeinschaften“ durch den Vertrag von Maastricht in eine „Europäische Union“ mit gemeinsamer Währung. Frieden für Europa ihr Ziel.

Erfordert dieses Ziel aber außer dem Blick nach innen nicht auch einen Blick über die Grenzen? Wer sind unsere Nachbarn und was wollen sie? Der ukrainische Film erzählt darüber ein bisschen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Frankfurt, 7. April

Der Frühling ist stecken geblieben im kalten heftigen Wind.  Was blüht, das blüht weiter, aber unfröhlich; die Knospen bleiben verschlossen. Es ist, als streike er gegen den Krieg.

Ich habe mir, wie viele Menschen, Gedanken gemacht, wie er hätte v ermieden werden jköännen. Wer ist schuld daran. Aber jetzt? In meiner Kindheit bin ich von Kriegsgreueln verschont geblieben; ich kannte sber viele, die vor nichts mehr Angst hatten als vor der Drohung "Die Russen kommen!" . Wenn ich in den letzten Jahren hörte, wie die Polen bei den Amerikanern um Waffen buhlten, um sich gegen die Russen zu schützen, so habe ich das nicht wirklich verstanden. Aber jetzt erfährt jeder, ob er will oder nicht, dass der Krieg der Russen  besonders barbarisch ist.  Sie marschieren einfach ein und stürzen sich in die Barbarei.

In dem ukrainischen Serienfilm, den ich mir vollständig angeguckt habe, er hieß "Diener des Volkes", da hatte der verzweifelt gegen Korruption ankämpfende Präsident  zwei Mal eine Vision: ein mythischer Russenherrscher riet ihm zu allem, was so ein alter Herrscher verfügen konnte: Zwangsheirat, Mord, Grausamkeit. Gewalt. Es klang verführerisch. Und der Präsident raffte sich auf und entgegnete: das geht heute nicht mehr, wir sind eine Demokratie, wir sind Europäer! Der Film kam 2015 heraus.

Und so sehe ich, dass "die Russen" immer noch morden, plündern, vergewaltigen und zerstören, zerstören, erstören.  Sie entsprechen allen Vorurteilen. Nicht die Russen allgemein - aber das Militär lässt sich noch dazu herab. Oder wird von der Regierung dazu aufgefordert. Diese trägt  die eigentliche Verantwortung für diese Schande.

Frieden heißt die Zukunft, über Frieden sich Gedanken machen, ist Notwendigkeit. Ich habe darüber einen Aufsatz geschrieben, der dese Woche in "Kulturissimo", einer Beilage des luxemburgischen "Tageblatt", erscheinen wird.