Vorträge, Reden

2013

Barbara Höhfeld

Frankfurt, den 25. November 2013

Verleihung des Renate-Chotjewitz-Häfner-Förder-Preises an Nadja Einzmann

Gibt es eine VERBINDUNG ZWISCHEN NADJA EINZMANN UND RENATE CHOTJEWITZ-HÄFNER?

Im Frühjahr 1979 reiste Renate Chotjewitz-Häfner, die damals schon in Italien lebte, nach Matera. Das Städtchen liegt in der Basilicata, Süditalien, nordwestlich von Tàranto in den Bergen. Auch für durchschnittliche Italiener sehr weit ab. "Nach einer umständlichen Reise", schreibt Renate Chotjewitz-Häfner, kam sie "in der apulischen Provinz" an, "um mir Nur Kinder, Küche, Kirche, die ersten (von Franca Rame) mit Dario Fo zusammen verfassten neuen Frauenszenen anzusehen". Sie fährt fort: "Mit jener Reise begann eine nähere Bekanntschaft, die sich im Lauf der Jahre in Freundschaft verwandelte; in der Folge wurde das Übersetzen für mich zum Beruf. Das verdankte ich nicht zuletzt der monatelangen Beschäftigung mit den verschiedenen Themen der Frauenszenen in Nur Kinder, Küche, Kirche, die mir just in diesem Moment, nach so viel Selbsterfahrungsgruppe in der Provinz, wo ich lebte, den Kopf mit frauenbewegter Theorie zugedonnert, den Schritt zur Praxis nahelegten."

Franca Rame - die übrigens dieses Jahr im Mai auch gestorben ist - blieb Renates großes Vorbild. Ihr zuliebe schrieb sie ihre Übersetzungen in einem Geiste der Kunst und des Witzes, der die deutschen Fassungen der Stücke von Dario Fo und Franca Rame auch heute noch ganz frisch erscheinen lassen. Sie fand einen Weg, den italienischen Humor über die Alpen zu tragen, indem sie genau auf die Urfassung einging, aber manchmal auch davon abwich, so dass die Übersetzung immer wie ein Original klang. So hieß der italienische Titel von jenem Stück in Matera "Tutta casa, letto e chiesa", das würde, wörtlich genommen, etwa "Haushalt, Bett und Kirche" bedeuten, aber welcher Deutsche liegt schon öffentlich gern im Bett!, man schrieb 1979!, nein, Renate titelte: "Nur Kinder, Küche, Kirche" und schon flogen alle Leute ins Theater, um dieses Stück zu sehen. Dario Fo selbst hat die Frage, warum die Stücke von ihm und seiner Frau so gut in deutschsprachigen Ländern laufen, unter anderm mit dem Hinweis auf eine "geglückte Übersetzung" beantwortet. Es war nicht einfach Glück, es war Begeisterung und genaue Arbeit.

Renate verlor auch in Italien nie völlig den Kontakt zur Bundesrepublik, sie veröffentlichte dort - anfangs zusammen mit ihrem damaligen Ehemann, Peter O. Chotjewitz - Erzählungen, Lyrik, ein Hörspiel, vor allem auch eine Forschungsarbeit über "Die Juden von Rhina". (Rhina ist eine osthessische Stadt, deren Bevölkerung vor 1933 zu mehr als der Hälfte aus Juden bestand.) In Frankfurt gründete sie mit anderen den Verein zu Erinnerung an den 9. November 1938, schrieb, organisierte unermüdlich. Und sie übersetzte alles von Dario Fo und Franca Rame.

In den Achtziger Jahren übernahm sie in der Bundesrepublik politische Aufgaben, politisch innerhalb des Berufs der Autorin und Übersetzerin, sie wurde im Verband deutscher Schriftsteller Mitglied des Bundesvorstands, und von 1984 bis 1986 war sie Vorsitzende des hessischen Verbands deutscher Schriftsteller. Die Aufgabe aber, die ihr aus der Seele sprach und gleichzeitig all ihr Wissen herausforderte, war nach 1990 ihre Mitarbeit in der Geschichtskommission im VS. Es hatte Beziehungen zwischen den ost- und westdeutschen Schriftstellerverbänden gegeben, die schon lange vor 1990 zu großen Auseinandersetzungen geführt hatten - es war ja die Zeit des Kalten Krieges. "Frieden ODER Menschenrechte", hieß es; manche wollten beides und gaben die Hoffnung auf; andere glaubten, dass Bewegung in den festgefahrenen Verhältnissen entstünde, wenn dem Frieden Vorrang eingeräumt würde, denn Krieg hatten sie kennengelernt und als sinnlos erfahren; andere wiederum wollten vor allem eine Wahrung der Menschenrechte erreichen, und auch sie hatten gute Gründe. Nachdem die Mauer gefallen war, galt es, eine Einigung unter den Schriftstellern der verschiedenen Fraktionen zu erreichen, und dafür brauchte man konkretes Wissen über das, was vorher geschehen war. Renate Chotjewitz gab zusammen mit Carsten Gansel das Buch "Verfeindete Einzelgänger" heraus, ein Hinweis auf Heinrich Bölls Satz von der Gewerkschaft als einer Gemeinschaft der Einzelgänger, die ja Schriftsteller allemal sind. In diesem Buch zeichnen die beiden mit Akribie und ernstem Bemühen um Objektivität den Streit, die Argumente der einzelnen Gruppen nach und versuchen redlich, einer jeden gerecht zu werden. Eine Sisyphus-Arbeit.

"Verfeindete Einzelgänger" fokussiert die Auseinandersetzungen schließlich auf den VS-Kongreß, der 1984 in Saarbrücken stattfand, und man muss Renates "Wahrheitsgetreuen Bericht über die ordentliche Bundesdelegiertenkonferenz in Saarbrücken" wirklich nachlesen, um sich ein Bild davon zu machen, wie die Schriftsteller und Schriftstellerinnen ihre Position "zwischen Politik, Literatur und Moral" zu finden versuchten, wie Carsten Gansel das etwas nüchterner umschreibt. "Mit dem Komplex 'Frieden' und Menschenrechte' waren Grundwerte literarischer Existenz wie 'Freiheit', 'Moral', 'Gewissen', 'Wahrheit' aufgerufen, die sich nicht nach dem Delegiertenprinzip oder per Abstimmung unterordnen ließen", erläutert Carsten Gansel.

Renate stellt das noch direkter dar: es ging um einen "Streit zwischen Ideologien und um einen politischen Kurswechsel im westdeutschen Schriftstellerverband, den die Schriftsteller im Jahr 84 mit voller Schärfe austragen." Das bedeutet: mit Zerwürfnissen, die nie mehr gekittet werden konnten. Da waren nicht nur die Dissidenten,die erfahren hatten, dass ein Leben -ihr Leben - von der Einhaltung der Menschenrechte abhing; da waren auch die Antikommunisten, eine wichtige Richtung im damaligen Deutschland und sogar bis heute….. Darüber würde ich gern heute mit Renate reden.

Renate aber ist vor fünf Jahren schon gestorben, nach einem sehr dichten und von Begeisterung getragenen Leben. Um das Zusammenfinden der beiden Deutschlandteile hat sie sich bis zuletzt bemüht, erst nach ihrem viel zu frühen Tod fand z.B. ein literarisches Treffen zwischen sächsischen und hessischen SchriftstellerInnen in Frankfurt statt, dessen Planung sie noch geleitet hatte.

Damit habe ich versucht, drei der wichtigsten Stränge in ihrem aktiven Leben anzudeuten: den Strang des Kampfes um die Gleichberechtigung der Frauen, den anderen mit ihrem Bemühen um die Erinnerung an die deutschen Juden, und drittens ihre Hinwendung zu einem Ausgleich zwischen Deutschland-West und Deutschland-Ost. Renate hinterließ uns zur bleibenden Erinnerung einen "Geldbetrag, der für einen Förderpreis für Autorinnen aus dem Frankfurter Raum" bestimmt ist, und diesen Preis erhält dieses Jahr Nadja Einzmann aus Frankfurt.

Nadja Einzmann steht gewissermaßen für die folgende Generation, sie könnte Renates Tochter sein. Was war in ihrer Generation anders, was waren die Ziele der jungen Frauen, die nach 1950, 1960 geboren wurden?

Es gab keinen Krieg mehr. Wir lebten im Frieden. Die Grenzen innerhalb von Europa verschwanden nach und nach, gekrönt vom Mauerfall im Jahr 1989. Nein, sie verschwanden nicht, sie öffneten sich. Es waren die Schlagbäume, die verschwanden.

 

Nadja Einzmann wurde 1974 in Malsch bei Karlsruhe geboren und wuchs in Gernsbach auf, das weiter südlich in einem Schwarzwaldtal liegt. Dort machte sie Abitur. Danach zog sie fort - zog hinaus aus der Enge des Tals, hinunter in die Ebene, sie ging nach Frankfurt und studierte dort Germanistik und Kunstgeschichte. Ihre Jugend verbrachte sie also unweit der deutsch-französischen Grenze. Aber weder Frankreich noch der Schwarzwald tauchen im Werk der Schriftstellerin Nadja Einzmann auf. Sie konzentriert sich auf Beziehungen. Noch vordringlicher als diese aber erscheinen ihr die Formen, in denen sie erzählen möchte.

Nadja Einzmann veröffentlichte Gedichte in Zeitschriften sowie Erzählungen und Anthologien. Zu ihren Werken zählen Da kann ich nicht nein sagen (2001) und Dies und das und das (2006), beide erschienen im S.-Fischer-Verlag. Sie wurde 1998 mit dem Förderpreis Junges Literaturforum Hessen-Thüringen sowie im Jahr 2002 mit dem Georg-K.-Glaser-Förderpreis ausgezeichnet. 2007 erhielt sie den Förderpreis des Friedrich-Hölderlin-Preises der Stadt Bad Homburg. (Aus wikipedia.) In der FAZ veröffentlichte sie nicht weniger als siebzehn Reisebeschreibungen. Auf zwei von ihnen, nämlich die beiden, die sie mir selbst gegeben hat, werde ich eingehen. Hinzufügen möchte ich unsere gemeinsame Arbeit bei Radio X: ab 2000 sendeten wie dort einmal monatlich eine Stunde mit und über je zwei SchriftstellerInnen.

Mit ihrer ersten Erzählsammlung im S. Fischer-Verlag "Da kann ich nicht nein sagen" stand sie 2001 gewissermaßen aus dem Ei gepellt, stand als fertige Schriftstellerin vor dem Publikum: mit einem eigenen Ton, mit einer Sprache, die wie in Glas gehärtet erschien, dabei zugänglich, vieldeutig, dem Scherz und ebenso dem Verstand geöffnet, getragen von einer spinnwebzarten Sensibilität. Mit ihren eigenen Augen blickte sie auf die Welt. Ein wenig von ihrem Suchen beim Schreiben, ihrem Suchen durch das Schreiben, erahnt man in der letzten Geschichte aus diesem Buch, die ursprünglich mal "Wohin damit?" geheißen hatte. Sie beginnt: "Ich sitze in der U-Bahn, und da ist er, der poetische Moment, und keiner hält die Fäden in der Hand und dirigiert die Schatten und keine Filmmusik, nur ein leises Gemurmel. Ich schaue und denke: aufschreiben, alles schnell aufschreiben, das gespensterzart gespiegelte Gesicht im dunklen Fenster …."

Die Erzählerin fragt sich nun: wohin mit dieser Wahrnehmung, sie könnte eine Geschichte werden, aber wie setze ich die Pointe? "Ich müsste sie anlegen, schon im ersten Satz, damit ich mich entspannt zurücklehnen könnte und wüsste, darauf reihst du deine Perlen, und wüsste, jede Perle ist gut untergebracht auf dem Faden, der zur Pointe führt….."

Sie weiß, dass ist ein Traum von dem, was Literatur bedeutet, sie tastet sich weiter voran, wie blind vor lauter Sehen, sie erkennt einen Mann, mit "biederem" Gesicht, doch das Wort "bieder" schreckt sie auf, mit "bieder" will sie keine Literatur machen, der Faden reißt, auf den sie ihre Gedankenperlen fädeln wollte; nein, mit bieder kommt sie nicht weiter; doch der Mann spricht mit seinem Gegenüber, einer Frau - ein Mann und eine Frau! jubelt sie, "damit lässt sich etwas machen". Und schaut weiter mit der ganzen Intensität ihres Kunstverstandes und ihres jugendlichen Ehrgeizes und entdeckt eine Poetik - aber "eine hinter die ich nicht komme". Sie sucht weiter, findet "eine Bekümmerung", die "im Verhältnis von Kinn und Hemdkragen begründet ist". Das führt sie zu weit weg von allem, ihr fehlt, so bemerkt sie, ein Koordinatensystem……

Sie gibt schließlich die Suche auf. Da sie sich bisher nur um ein Spiegelbild im dunklen Fenster bemüht hatte, versucht sie, in einer Anwandlung von Trotz, wenigstens noch die realen Personen anzusehen, findet sie, und es bleibt schließlich nichts übrig als "ein Mann" und "eine Frau". Mit dem Titel ist sie im Buch abgedruckt.

Die Pointe liegt in der Entdeckung einer Wirklichkeit, und ich möchte sagen: einer unpoetischen Wirklichkeit, einer Wirklichkeit, wie sie etwa in einer treu sorgenden Mutter begegnet, die nichts von dem versteht, was in ihrem Kind vorgeht. Es ist nicht die Wirklichkeit, in der die Erzählerin lebt, die sie wahrnimmt, und ich spreche nicht von Träumen, nicht von Halluzinationen, sondern von einer anderen wirklichen Welt.

Nadja Einzmann hat sie in diesem ersten Buch auch gefunden: die Schlussgeschichte hätte sie ebenso gut an den Anfang stellen können, als Beispiel für das Hindernis, das es zu überwinden gölte. Das sie überwunden hat. Mit der ersten Geschichte befinden wir uns in der Welt der Beziehungen zwischen Frauen und Männern, jungen Frauen, muss ich sagen, Frauen, die nach der Wahrheit, nach der Wahrheit in der Liebe suchen. Und darin sofort enttäuscht werden: die Suchende ist zu klug, um nicht zu sehen, dass der Geliebte nach anderen Frauen schaut, nach ihren "festen kleinen Hintern und Brüsten wie ich sie liebe", wie er sagt, und so muss sie sich fragen, ob er auch an ihr eben NUR den Hintern und die Brüste liebe….. und sonst nichts, und weiß doch, dass er ihr diese Frage nie beantwortet, vielleicht nicht beantworten kann, weil er es selbst nicht weiß.

Ja, klug ist sie, doch ihre Klugheit hilft ihr nicht, um das Geheimnis zu lüften, das zwischen Begehren und Bewunderung eine Barriere errichtet. Paar um Paar nimmt sie sich vor, bei jedem liegt die Barriere an einer anderen Stelle, lässt sich nicht verrücken, und die Hoffnung schwindet. So dass zuletzt die Geschichte, die am Ende steht, die, wo es um Figuren in einem dunklen Spiegel geht, doch wieder ans Ende passt. Platons Höhlengleichnis als letztes Fazit.

In ihrem zweiten Buch, 2006 ebenfalls bei S. Fischer erschienen, es heißt "Dies und das und das", zeichnet Nadja Einzmann fertige Lebensgeschichten auf. Es geht ihr nicht mehr, wie vorher, um verräterische Situationen im Leben von Heranwachsenden, um Momente, in denen alles kippt, sondern um das ganze Leben, um den Rückblick von Erwachsenen. Sie hat zwei Jahre lang Menschen interviewt und danach deren Erfahrungen in ihre glasklare, poetische, verständliche und spinnwebzarte Sprache gegossen, so dass die Porträts, man weiß nicht wie, zu einem Gedicht werden. Ein Gedicht wie ein Spiegel, in dem wir, die Leser, uns selbst angucken.

Nadja Einzmann hat mal in einem Gespräch gesagt: "Kunst ist nur dann Kunst, wenn das Leben durchscheint," und diesen Anspruch erfüllt sie mit dem Buch "Dies und das und das".

In einer Geschichte berichtet sie in der dritten Person, jedoch, wie in den anderen auch, mit den Worten des Protagonisten, von einem jungen Mann, der mit 35 noch bei seinen Eltern hockt, sich ein Zimmer im Keller eingerichtet hat und kaum noch daraus hervorkommt. Der Mann weiß ungeheuer viel, zum Beispiel ist er zwar kein "geborener Jurist", "aber in Rechtsphilosophie, da hat er sich hervorgetan." Und in den Seminaren sagte er meistens fast nichts, nur, "wenn es ausgezeichnet und über die Maßen durchdacht war". "So hat er viel herumgesessen, sehr früh schon in Doktorandenkolloquien, hat wenig geschrieben, meistens nur herumgesessen, zugehört und selten etwas gesagt.

Schreiben, davor hat er sich gefürchtet. Was einmal da steht und stand, ist nicht wieder zurückzuholen, und was einer dann hernimmt und liest, ist dann wie es ist …."

Was ist an einem solchen Text von Nadja, was von dem unglücklichen jungen Mann? Sie sehen sich in diesem Moment ähnlich, so kommt es mir vor.

 

"Aber in Rechtsphilosophie, da hat er sich hervorgetan." Ein Satz, aus dem sich ein politischer Standpunkt der Autorin herausfiltern ließe. Im Gegensatz zu dem, was Renate Chotjewitz-Häfner wichtig war, entdecke ich in Nadjas Geschichten auf den ersten Blick nichts Politisches. Gräbt man jedoch ein wenig tiefer, dann taucht ein Gesicht der deutschen Bundesrepublik auf: eines, wo es den Leuten um persönliche Erfolge geht, um Karrieren, oder wo sie sich was vormachen, in dem sie glauben, sie seien "tough" und selbständig, wie die junge Förderschullehrerin, die auf ihren Beruf stolz ist und dass sie mit einer Freundin für die Ferien nach Mallorca fliegt, und keinen Mann mehr braucht. Oder die Einstellung zu Hobbys, die Arbeit im Hobbykeller, die von der übrigen Familie nicht gewürdigt wird. Oder von dem Mädchen, das "von ihrem ersten Grundschuljahr immer verprügelt" wurde. "Im Wesentlichen waren es die Kleider, die ihre Mutter selber nähte." Oder die vielen Figuren, deren Eltern Lichtjahre von jedem Verständnis für ihr Kind entfernt waren. Oder die Klage über die Abschaffung der lateinischen Messe.

Eins wie das andere, sind diese Bücher keine leichte Unterhaltung; es entströmt ihnen eine gewisse Melancholie, und in dieser ist auch Kritik enthalten.

Weniger melancholisch, dafür mehr von Neugier getragen sind Nadjas Reiseberichte. Die FAZ hatte die Erleuchtung, Nadja Einzmann mit Reiseberichten zu beauftragen, und hat, vermute ich, nie bessere bekommen. Nadjas wichtigstes Stilmittel, eine sanfte und unerbittliche Ironie, tritt auch hier hervor, eine liebevolle Ironie, ähnlich der Strenge eines zugewandten Vaters, vielleicht. Sie hat mir zwei Reiseberichte von insgesamt siebzehn zukommen lassen, und auf diese zwei gehe ich im Folgenden ein.

Im Jahr 2008 war sie in Panama, und wer diesen Text in Ruhe gelesen hat, der weiß alles über Panama und hat sich gleichzeitig bestens unterhalten. "Panama lag zuallererst einmal dazwischen. Und so wurde es über die Jahrhunderte hinweg überschritten und überfahren, benutzt und ausgenutzt, um die Mitte herum dünn getreten. Es wurde auch übergangen."

Wecken diese Sätze nicht Neugier? Panama "verbindet in einem zierlichen "S" den nordamerikanischen mit dem südamerikanischen Kontinent" - das ist Nadja, wie sie leibt und lebt und schreibt und das Leben durch die Kunst leuchten lässt. Sorgfältig und menschenfreundlich geht sie auf die Geschichte dieses Landes - "nicht viel größer als Bayern" - ein, schildert die Geschichte aus der Sicht der Reporter, der amerikanischen, der europäischen Geschichtsschreibung und lässt dann ausführlich die panamesische oder besser panamaische Geschichtsschreibung zu Wort kommen, der es gelungen ist, den Grund für einen fröhlichen Nationalstolz zu legen: vor zwei Millionen Jahren stiegen hier Vulkane aus dem Meer, die sich mit der Zeit zu einem Festland, zu einer Festlandbrücke verbanden, und von dem Moment an konnte der Golfstrom nicht mehr einfach in den Pazifik strömen, sondern wurden zurückgeworfen, ja und seitdem genießen wir hier in Europa - und übrigens auch in Afrika - die Vorteile des Golfstroms, der, genau genommen, wen man die Evolution betrachtet, die Basis unserer ganzen Kultur ist ….. Dank Panama, das sich in die Bresche warf. "Der schmale, aber starke Arm Panamas hat den Golfstrom abgelenkt und den Menschen aufgerichtet", schreibt sie. Begeistert sich am Überschuss des Lebendigen, dort, wo die Lebenswelt aus Pazifik und Atlantik sich annähern. Die Kolibris. Die Sonne. "Wir aber sind zaghaft und hellhäutig und lichtempfindlich. Und jede versehentlich nicht mit einem hohen Lichtschutzfaktor geschützte Hautstelle wird sofort rosa und dann rot." Selbstverständlich "versehentlich". Ihrer leisen Ironie entledigt sie sich auch in der Begeisterung nicht.

2009 reiste sie nach Bali. Ihr Bericht beginnt mit den Worten: "Natürlich wollen wir verführt werden. Wir wollen verzaubert und getäuscht werden. Wir wollen, dass Bali noch heute so ist, wie es über all die Jahrzehnte von Reisenden beschrieben und gerühmt wurde: geblümt und tempelreich." Hier sehe ich sie plötzlich, die Erzählung, zu der die Autorin Perle auf Perle auffädelt, ihrer Pointe von vornherein sicher: die bösen Geister, das aus Indien importierte Kastensystem, die Begrüßungskette aus Frangipani-Blüten, Perle auf Perle; das Paradies, das von Künstlern noch paradiesischer gemacht wurde; die Unterwasserwelt, die von "sensiblen und feinfühligen Hoteliers und Tauchveranstaltern, die nur die anmutigsten und prachtvollsten Korallenbänke auswählen und empfehlen", unterstützt wird. Weiter reist die Gruppe auf die Nachbarinsel. Während der Guide auf Bali den Sarong als Verkleidung für Touristen trug, hat der Guide auf der Nachbarinsel Lombok ein olivgrünes Polohemd und eine schwarze Hose an. Den Sarong trägt er nur, wenn er zuhause ist.

Es gelingt der Berichterstatterin, leise, wie nebenbei, kulturelle Unterschiede zwischen den beiden, nahe gelegenen Inseln plausibel und anschaulich zu machen, ohne doch auf ihre Ironie zu verzichten: "Neben Größe, Schönheit und den Fertigkeiten einer Frau wirke sich die Gewogenheit der Brautmutter auf den Kaufpreis aus," zitiert sie ihren Guide. Das heißt: Ein Mann kauft sich die Frau seiner Wahl. "Dann fasst sich Agha ein Herz. Und wie seien die Preise in Deutschland? Es erschüttert ihn nicht, als er hört, dass in Deutschland Frauen in der Regel nicht verkauft werden."

Also, diesen Bericht über Bali und Lombok würde ich am liebsten ganz vorlesen, so herrlich, so abwechslungsreich, so voller verschmitztem Humor kommt er daher. Wo bleibt das Buch mit Reiseberichten von Nadja Einzmann?

Zu diesem Südsee-Bericht hat die Autorin sogar die Fotos beigesteuert, eine vertrackt mit Spiegelungen spielende Darstellung von Meer, Sonnenuntergang und gefiederten Palmen …… Die bildende Kunst mit ihren Ansprüchen ist ihr immer nah geblieben.

Wenn ich noch ein Parallele zu Renate Chotjewitz ziehen wollte, dann könnte ich hier den Gegensatz Panama = Westen und Bali = Osten herstellen und ganz viel dazu sagen; es mag Ihnen als zu weit hergeholt scheinen, doch es würde sich lohnen… und außerdem drängt die Zeit.

Nadja Einzmann hat sich auch mit dem Romanschreiben auseinandergesetzt, und tut dies noch.

Sie hat wunderschöne Gedichte geschrieben, und mit einem frühen Sonett von ihr möchte ich enden:

 

"Aber nein!

Sie sehen, Sir, wenn ich die Wimpern senke,

verlassen meine Augen mein Gesicht.

Von wegen, dass ich dann nicht an Sie denke.

Nur Ihnen scheint es so, als dächt ich nicht.

 

Ich wünschte nur, sie trauten meinen Wangen,

die sich dann röten - lieblich - wennb auch leicht;

dann steigt mit meinem Pulsschlag mein Verlagen

nach Ihnen. Sir - wenn Ihnen das nicht reicht!

 

Ich bitte, Sir, Sie sollten sich begnügen

mit dieser Wangenröte - nur für Sie.

Es können solche Wangen doch nicht lügen.

 

Wenn ich nur manchmal kurz die Wimpern senke,

heißt das noch nicht, dass ich an andres denke.

Ich denke nur an Sie, an andre nicht."

 

Liebe Nadja, ich gratuliere zum Preis und wünsche dir viel Glück und Erfolg für die Zukunft!