Tagebuch Sommer 2014

Frankfurt, 18. Oktober

Ein sonniger Monat, alles in allem. Milde Temperaturen, sanfte Brisen oder Windstille. Manche Bäume haben ihre Blätter schon verloren, ganz undramatisch, die meisten sind noch grün. Und die Blumen blühen, Rosen in den Vorgärten,die Geranien und die Ringelblumen auf meinem Balkon.

Ich genese. Nach Wochen des Krankseins genieße ich die Erholung, auch wenn ich noch humpeln muss. Nach zwei Monaten entdeckten die Herren Ärzte, dass meine linke Achilslessehne gerissen war/ist - nun trage ich eine schwere Rundumschiene am Bein und erwecke damit enorme Aufmerksamkeit, verbunden mit ungewohnter Rücksichtnahme. Schwangere Mütter und alte Damen bieten mir ihren Platz an! Als ich vorher zwei Monate nur humpelte und am Stock ging, stand ich eher als lästige Alte da. Die Mondmann-würdige Schiene verändert nun das Verhalten. "Ich gehe als Skiunfall", spotte ich, und sage nicht dabei, dass ich gar nicht  skifahren kann. Ist nicht wichtig. Junge, gesunde Männer gucken neidisch auf meine Schiene!

Eigenartige Erfahrung. Derweilen habe ich mehrfach Gelegenheit, meinen Roman einem Publikum vorzustellen, und suche immer noch die Art und Weise, die ihn für jeden Zuhörer so attraktiv machen würde, dass er/sie das Buch erwerben möchte. Nicht, dass ich nicht Rückmeldungen bekäme: manche finden den Roman so spannend, dass sie ihn in einem Rutsch auslesen müssen; andere erschrecken ob der "vielen Fragen auf jeder Seite, das passt doch nicht in einen Unterhaltungsroman". War mir gar nicht bewusst....

 

 



Frankfurt, den 9. Oktober

 Ein Luxemburger spricht drei Sprachen, mindestens. Luxemburg ist ein dreisprachiges Land: jeder lernt Letzeburgisch, Deutsch und Französisch.  Nur wer sich in diesen drei Sprachen bewegen kann, ist wirklich ein „Luxemburger“. Kinder von Zuwanderern lernen selbstverständlich diese drei Sprachen – außer ihren eigenen – und gehören damit auch dazu.  So entsteht im Großherzogtum eine Einheit aus mehreren Sprachen – dort redet man nicht von „Multi-Kulti“.

 

Letzten Sonntag war ich in Luxemburg. Das „Nationale Literaturzentrum“ in Mersch feierte sein 25jähriges Bestehen, nein, genauer gesagt, die Stiftung, die das Haus trägt. Eine „Fondation Servais“, nach der Familie benannt, die das Haus über viele Generationen bewohnt und es zuletzt der Öffentlichkeit vermacht hatte.  Ein ganz besonderer Aspekt dieses Geburtstags bestand darin, dass der Großherzog, das luxemburgische Staatsoberhaupt, zugegen sein würde.  Das war noch nie vorgekommen.  Das wollte ich miterleben. 

So nahm ich den Zug, weil ich momentan mit einer Monsterschiene am Bein durch die Gegend humpele, wegen eines Achilles-Sehnen-Bruchs. Beim Umsteigen in  Koblenz kam ich in den Genuss des „Mobilitäts-Service“ der Bahn.  In Koblenz gibt es zum Bahnsteig nach Trier und Luxemburg keine Rolltreppe; der einzige Aufzug war defekt, und der ankommende Zug hatte obendrein Verspätung. Dank der Hilfe einer liebenswürdigen jungen Bahnerin schaffte ich die Treppen und den Weg und erreichte den Zug. (Es erscheint wie eine Abschweifung, doch  empfinde ich die Zustände auf dem Koblenzer Bahnsteig als symptomatisch: als ginge es von hier aus ans Ende der Welt! Deutsche Arroganz.)

Bei dem Festakt in Mersch saß ich in einem Saal mit ungefähr 400 Menschen, und stand auf, wie alle andern, als der Großherzog mit seiner Entourage den Raum betrat,  und blieb stehen, bis alle ihre Plätze in der ersten Reihe eingenommen hatten.  Zum Auftakt  spielte eine zweiköpfige Gruppe aus Saxophon und Kontrabass ein sanft jazziges Musikstück; dann stand ohne weitere Umstände die Präsidentin der Stiftung auf, Germaine Goetzinger, die neben dem Großherzog saß,  ging mit sicheren und selbstverständlichen Schritten zum Rednerpult und begann ihre Ansprache. „Das Jahr 1989, in dem die Fondation Servais gegründet wurde,“ sagte sie, „war kein normales Jahr, eher eins,  in dem sich vieles bewegt hat und Aufbruchstimmung herrschte.“ (Sie sagte genau: „Aufbruchstimmung machte sich breit,“ denn sie sprach Luxemburgisch, und im Letzebuergischen darf man so reden.  Sie sagte vorher auch nicht „normales Jahr“, sondern so was wie ein „gradaus laufendes“ Jahr.) Sie fuhr fort: „Es bleibt vor allem in Erinnerung als das Jahr, in dem die Berliner Mauer gefallen ist und das Ende des Kalten Kriegs eingeläutet wurde. Daneben feiern die Franzosen  den 200. Jahrestag  der Französischen Revolution, weihen Peis Glaspyramide am Louvre ein und freuen sich, dass der  Citroen XM zum europäischen Auto des Jahres gewählt wird.“ Nach weiteren Aufzählungen, von denen jede unerwartete Erinnerungen weckte: „Die meisten Computer laufen noch unter dem Betriebssystem MS-DOS, aber die Freaks wissen, dass Linux die Zukunft ist.“ 

Am liebsten würde ich die ganze Rede hier mitteilen, so gut hat sie mir gefallen. Das Publikum setzte sich sehr überwiegend aus älteren Herrschaften zusammen, und so rollte unversehens ihr eigenes Leben mit diesen Erinnerungen an ihnen vorbei. Jeder war irgendwie beteiligt. Frau Goetzinger blieb in diesem Sinne spannend bis zuletzt, in dem sie auf ungewohnte Art von der Gegenwart sprach – ich merkte, dass ich daran gar nicht mehr gewohnt war. Von der Zukunft ist gewöhnlich die Rede, oder von der Vergangenheit – aber die Gegenwart? Genauer gesagt, die unmittelbare Vergangenheit? Aus Chronistensicht? Ohne Werturteil, genauer, jedem Zuhörer seine Beurteilung überlassend?

Seit Gründung der Stiftung und durch ihre Initiative wurde ein jährlicher luxemburgischer Literaturpreis ausgeschrieben . der „Prix Servais“, und vor allem wurde das Haus eingerichtet, so dass es nicht nur die gesamte Gegenwartsliteratur des Landes in seinen Mauern birgt, sondern auch Forschungen, Doktorarbeiten und andere Tätigkeiten auf dem Gebiet der Literaturwissenschaft betreibt oder unterstützt.  Endlich wurde luxemburgische Literatur in Luxemburg ernst genommen.

Das machte der zweite Redner, Pierre Puth, seinen Zuhörern deutlich, indem er aus den Dankesreden der bisherigen 23 Preisträger des „Prix Servais“ Zitate auswählte, sie zu einer Collage zusammenband, die sich, einem Feuerwerk gleich, über die atemlos lauschenden Zuhörer ergoss.

Pierre Puth sprach den Großherzog nicht mit „Altesse Royale“  an, wie es das Protokoll verlangt und alle anderen taten, sondern mit „Monseigneur“. Damit deutete er auf das höflichste an, dass er seiner Gesinnung nach nicht zu den Anhängern einer Monarchie gehörte. Andererseits hat Pierre Puth wahrscheinlich noch nie mit solcher Überzeugungskraft geredet wie an diesem Sonntag, in dem Wissen, dass jedes Wort gilt und bedacht ist und wirken wird. Der Großherzog selbst hat öffentlich nichts gesagt. Nur seine Präsenz zählte. Sie schenkte allen Anwesenden, nicht nur den Rednern,  ein Selbstbewusstsein und eine Bedeutsamkeit. Bei aller Bescheidenheit, die auch seinem Äußeren entsprach: Er war elegant, aber einfach und unauffällig gekleidet, nahm keinerlei (körperliche) Distanz gegenüber seinen Gesprächspartnern ein, bewegte sich beim anschließenden Empfang unter den Menschen wie jeder andere. Wer ihn nicht kannte, hätte ihn nicht von seiner Umgebung unterscheiden können. Zudem schien er sich unter all den Intellektuellen außerordentlich wohl zu fühlen.  Die schön uniformierten Gendarmen vor der Tür mussten lange warten ....

Die Mehrsprachigkeit spiegelte sich in Pierre Puths Zitaten. Von Preisträger zu Preisträger wechselte die Sprache, und dennoch verstand jeder Anwesende, was gesagt wurde, was das Gesagte bedeutete, wie es einzuordnen war. Jeder kannte natürlich auch die Preisträger, oder fast jeden. Ich empfand dieses Sprachenkaleidoskop wie einen Tanz, der alle vereinte. Es war dieses Gefühl, dieser Gedanke an die selbstverständliche Mehrsprachigkeit, der mir zum  krönenden Moment der ganzen Veranstaltung wurde.

Es hängt damit zusammen, dass ich in Frankfurt eine solche erdverbundene, geradezu körperliche Mehrsprachigkeit nicht erlebe.  Hier wechselt man die Sprache nicht, hier verbirgt man sogar oft seine zweite Sprache. Es entsteht eine gewisse Verarmung dadurch. Das empfand ich, als ich am Sonntag zwischen den Sprachen saß; es pulsierte eine solche Vielheit von Nuancen, von nicht ausgesprochenen Mitteilungen, die jeder verstand, von Farben und Schattierungen, dass eine Freiheit da herauswuchs, oder was war es? Eine Freiheit, die innerhalb von Einsprachigkeit gar nicht denkbar wäre. Bei Einsprachigkeit denke ich: Tunnel. Enge.

Ein Vergnügen  erfüllte mich, als wenn ich unter mehrsprachigen Freunden die Welt durchwanderte. Nicht unter „fremden“ Sprachen, sondern unter vertrauten Klängen, mit der Möglichkeit der Grenzüberschreitung zu jedem Augenblick. Die Wiederentdeckung von Freiheit, einer besonderen Form von Freiheit.

 

Frankfurt, den 15. September

Was mir an Frau Merkel besonders gefällt, ist der Umstand, dass sie alle eitlen Männer (zumindest, soweit sie in die Öffentlichkeit gelangen) aus ihrer Nähe entfernt hat. Die Eitelkeit der Männer unterscheidet sich, bisher noch, von der Eitelkeitder Frauen, indem Männer heute öfters nicht zwischen "Eitelkeit" und "Wichtigkeit" zu unterscheiden vermögen; so scheint es mir, und ich könnte auch sagen: mit dem, was mir als Eitelkeit vorkommt, bestreiten sie gern ihr Selbstgefühl, welches dann oft gar nicht über die Eitelkeit hinausreicht. Männer lernen von klein auf, dass sie wichtiger sind als Frauen, dass sie Frauen offen oder verdeckt geringschätzen können, weil sie Frauen sind, und vielen genügt das schon als Grundlage ihrer Stärke.  Durch diese irrige Weltsicht verdecken sie sich den Blick auf das, was sie selbst repräsentieren, und dadurch entsteht der Eindruck von Eitelkeit. Peer Steinbrück gehörte in diese Kategorie, Herr Stoiber auch (bei dem kam neben seinem Glauben an "Männlichkeit = Nicht-Frau" noch sein Glauben an Bairischkeit)  (während Seehofer hinter der Maske der Bairischkeit seine Schlauheit verbirgt).

Ich rede hier natürlich ausschließlich als Fernseh-Guckerin. All jene Herrschaften habe ich persönlich nie getroffen.

Doch dem Wundmal der Eitelkeit begegne ich natürlich auch im Alltag, in jeglichen Kreisen, nicht nur in den regierenden.

Unter "Eitelkeit der Frauen" wird traditionell ihre Schönheitssucht, ihre bevorzugte Pflege von Äußerlichkeiten gesehen. Kluge, ehrgeizige Frauen benutzen Mode und Kosmetik dagegen heute als Werkzeuge, und fahren gut damit. Weil es ja Männer gibt, die meinen, dass gut gekleidete, angenehm hergerichtete Frauen nichts als Weiber seien, die ihnen eh nicht das Wasser reichen könnten. Allerdings nimmt doch die Zahl der (ehrgeizigen) Männer zu, die gern eingeschränkte (oder sich einschränkende) Frauen in die Ämter hieven, sicherheitshalber, um keine Konkurrenz von ihnen befürchten zu müssen. Frauen, die tun, was man ihnen sagt; die als zuverlässige Unterstützer gelten, egal für was. Die fleißig und loyal sind. In dieser Rolle dürfen sie sich gern auch als intelligent und umsichtig erweisen. Früher war das der Typ der  "idealen Sekretärin".

Woran lässt sich die männliche Eitelkeit erkennen? Loben Sie einen Mann, und gleich merken Sie, wes Geistes Kind er ist. Wenn er das Lob wie selbstverständlich als begründet und gerechtfertigt aufnimmt, dann ist er vermutlich vom Virus der Eitelkeit befallen. Hieran sieht der Beobachter auch die Gefahr: sein Mangel an Realitätssinn. Und einen solchen Mann kann eine tüchtige Politikerin, ein tüchtiger Politiker nun gar nicht in ihrer/seiner Umgebung gebrauchen.

Darum freue ich mich, dass Frau Merkel die eitlen Männer aus ihrem Umfeld entfernt hat.

Doch zum Schluss stelle ich doch die Frage nach Frau von der Leyen. Wenn man die jüngsten Presssefotos betrachtet, wo sie uns gewissermaßen entgegentritt wie die Jungfrau von Orleans in schimmernder Wehr, da frage ich mich: ist nicht auch sie vom Virus befallen? Wie weit reicht ihr Realitätssinn?

Mein Wunsch an alle: Keinen Krieg mit Russland!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



Frankfurt, den 6. September

Im Moment plagt mich die Arthrose so sehr, dass ich mich nach einem Kurort umsehe. Zumindest theoretisch. Mal zwei Wochen jeden Tag nur dem eigenen Wohlbehagen widmen?

Der alte Vorwurf "Egoistin" wird lebendig. Auch dass ich heute nicht zum SPD-Stand zum Schulanfang gehe und für das SPD-Bildungsprogramm mit-werbe, lässt mich Schuld fühlen. Ich kann aber vor Schmerzen nicht gut gehen. Und Medikamente mag ich im Moment schon gar nicht schlucken. Ich brauche einfach nur Ruhe. In einem Kurort hätte ich die vielleicht. Ich muss darüber nachdenken. Eine Reise ist auf jeden Fall auch beschwerlich.

Im Kopf wandern die Gedanken trotzdem weiter. In unserer Philosophie-Runde wollen wir über die moralische Seite der modernen Reproduktionsmedizin reden; wir haben uns als Vorbereitung ein relativ neues Büchlein von Habermas angeschafft. Dieser gibt darin so viele Standpunkte zum besten, dass mir dabei schwindlig wurde. Doch dann schaute ich ins Post-Scriptum. Darin hat der Autor seine Gedanken präzisiert, wie er sagt - und damit in die Gegenwart gebracht. Er will die Unbekümmertheit US-amerikanischer Denker und Forscher beim "Shoppen im Gen-Supermarkt" darstellen. Da wird die Herkunft von Eltern und Vorfahren geringgeschätzt oder ignoriert, jeder steht nur für sich selber, ist autonom, ist nur er-selbst ("die Person", also sie-selbst). Ob da jemand genetisch designt wurde oder seine Gen-Entstehung dem natürlichen Zufall überlassen, das ist doch dann egal. Meint man drüben.

Was nicht meinen persönlichen Erfahrungen entspricht, nach denen viele Amerikaner nach Europa reisen, um die Wohnorte ihrer Vorfahren zu erkunden! Und wo ich überhaupt geneigt bin, den Kopf zu schütteln (das ist anscheinend die alt-europäische Rückständigkeit.) Doch ich sage nur: Ödipus! der ist 3000 Jahre alt und heute - danke Freud - virulenter denn je. Vater und Sohn, die uralten Konkurrenten. Die besten Freunde, ich seh das manchmal auf der Straße. Die Söhnchen sind dann so sieben oder acht. Herzerfrischend. Natürlich weiß ich nicht, ob die dann wirklich biologisch verwandt sind. Es sieht halt so aus. 

Es ist das Thema, das Sybilly Lewitscharoff im Frühjahr aufgegriffen und damit so viel Empörung ausgelöst hatte. Für sie sind biologische Eltern immer noch die wahren Eltern, selbst wenn sie in der Erziehung versagen. Sie bieten immerhin eine ganze Ahnenreihe, an der sich das Kind auch orientieren kann ( Lewitscharoff erwähnt ihre Großmutter.)

Bei Habermas stehen philosophische Gedanken am Anfang: die "universalistische Vernunftmoral", bei der sich moralisches Verhalten allein aus der Vernunft und der Annahme begründen lässt, jeder sei für die ethische Gestaltung des eigenen Lebens allein verantwortlich und dürfe im moralischen Umgang Statusgleichheit  im Sinne einer grundsätzlich uneingeschränkten Reziprozität von Rechten und Pflichten erwarten.  Das sind gebildete, erwachsene Leute, vermutlich weiß. Wie aber werden die so? Idealistischerweise, wie Habermas einräumt?

Keiner denkt an die Kinder, wie üblich.

 

 

Frankfurt, den 1. September

Auf Fehmarn, einer Ostseeinsel, herrschte gestern morgen Windstille, und die Wolken hingen bis aufs Meer, erzählte mir jemand, den ich angerufen hatte. Er saß auf seinem Segelboot und wartete auf die erste Brise. "Am Samstag nehmen wir das Boot aus dem Wasser, dann ist der Sommer zuende."

Ja, obwohl es diese Woche noch mal nachsommerliches Wetter geben soll. Ich war diesen Sommer nur auf Familienfesten - alle sehr schön und anregend: im Mai in Bremen und Vegesack, im Juli in Herne, im August in Erlangen. Während an der Weserfähre in Vegesack - ein Ort, der zu Bremen gehört - schon die Tiden steigen und sinken, nämlich Ebbe und Flut, wo das Meer also schon, oder noch, so weit landeinwärts, seine Herrschaft ausübt, Vergangenheit und Gegenwart ein untrennbares Ganzes bilden, gab es in Herne ein archäologisches Landesmuseum, das auf das Unterhaltsamste die Vergangenheit für sich lebendig werden ließ. Von der Vorzeit bis in die Gschichte. Freilich stehen in Herne, wie im ganzen Ruhrgebiet, schon die Industrie und der Kohlebergbau unter Glas - und in meiner  Jugend waren Kohle und Hüttenwerke doch leuchtende und rauchende Lebendigkeit!

In Erlangen wiederum feierten ein Kusine und ihr Mann Goldene Hochzeit, und beide repräsentierten ebenso ihre Vergangheit wie ihre Gegenwart auf das Anschaulichste. Gleichzeitig wurde im Gottesdienst der erste Urenkel getauft. Es waren Kinder, Kindeskinder, Bruderskinder und -enkel zugegegen. Ich, die Kusine der Goldenen Braut, war, glaub ich, die Älteste im Kreis. Unsere Eltern sind ja schon tot, wir sind jetzt die letzten lebenden Ahnen.

Bei soviel Jugend gab es natürlich auch Reden, die in die Gegenwart wiesen; dabei spielte der regionale Heimatstolz eine Rolle. Zwar sind meine Verwandten in Franken "Zugereiste", sehen sich auch nach 40 Jahren so (oder mehr), aber die Kinder sind doch  dort geboren und aufgewachsen? Von einem "Mischmasch" war wahrhaftig die Rede, das Wort bezog sich auf die Herkunft. Aber das war  doch nur eine Facette der Weltsicht. Mir begegnete sehr viel Offenheit und Zuversicht. Meine Enkelin aus Israel wurde auf das freundschaftlichste empfangen, obwohl sie bislang nicht Deutsch spricht und sich ganz viele Gäste auf ihr Englisch besinnen mussten, was aber erstaunlich gut gelang. Ja, auch sie gehörte zur Familie.

Eigentlich wollten wir im August gemeinsam nach Spanien reisen, sie und ich. Daraus wurde nichts. Meine Enkelin fuhr dann mit ihrer Tante nach Madrid und Cordoba, und mir, die kränkelnd zuhause blieb, brachten sie zwei Bücher mit: den Katalog der Madrider Ausstellung über "El Greco und die moderne Malerei" einerseits, und andererseits ein Buch, das die Geschichte Andalusiens neu einordnet in die spanische Gesamtgeschichte.

Danach hatte ich gefragt, das war der Anlass zu meiner geplanten Spanien-Reise gewesen: Wie integriert das moderne Spanien seine andalusische Geschichte? Hier setzen sich Orient und Okzident auseinander. Im Frieden oder im Krieg? Das ist die Frage. Ich bin dabei, ein Vorwort aus dem Spanischen ins Deutsche zu übersetzen, es ist mächtig interessant. Der Verfasser spricht darin über die Diskussionen, die das Buch seit seinem Erscheinen vor sechs Jahren ausgelöst hat.

Darüber berichte ich  später, wenn ich mit dem Vorwort fertig bin.

 

 

 

 



Frankfurt, den 28. August

Mein Enkel Emil Reinert, der werdende Pianist, nimmt diesen Sommer an einer Meisterklasse in Italien teil, „la masterclass la più prestigiosa d’Italia“, wie ich im Internet lese.  Sie findet zur Zeit in einem versteckten Ort in den Abruzzen statt, Campli heißt er und der nächstgrößere Ort ist Terreno. Am 30. August um 21 Uhr wird Emil zusammen mit dem „Orchestra Synfonica Abbruzzese“ eine Beethovensonate spielen! Normalerweise treten sie auf der Piazza San Francesco auf, bei schlechtem Wetter aber in der Kathedrale.

Ich bedaure sehr, dass ich das dieses Jahr nicht miterleben kann, bin also nur in Gedanken bei ihm. Hals- und Beinbruch! wie man unter Künstlern sagt. Auf Französisch: "Merde!"

 

In den letzten Wochen hatte ich ein paar gesundheitliche Probleme, befinde mich aber auf dem Weg der  Besserung. Grad wird es auch draußen wieder  warm. Diese Kälte war ja greulich! Anscheinend schlägt sich das seltsame Wetter auch in Italien nieder, weswegen Emils Konzert voraussichtlich drinnen stattfindet. Es soll gefilmt werden, darauf freue ich mich schon.

 

Frankfurt, den 20. Juli

 

Letzte Woche stieg ich, von einer Geburtstagsparty in Düsseldorf kommend,  in Köln in einen Zug aus Brüssel, um nach Frankfurt weiterzufahren. In dem Zug lagen Zeitungen aus – darunter „Le Soir“, DIE französischsprachige Zeitung Belgiens.  Außer Landes findet man sie fast nie. So stürzte ich mich neugierig darauf: was erzählt man sich in Belgien?

Politisch war grade nicht viel los, ich behielt nur den Kulturteil und ließ den Rest im Zug zurück. Was ich „Kulturteil“ nenne, hieß im Jargon  des SOIR: „MonSOIR weekend“. Unterteilt wurde nach Musik, Festivals, Bücher, Porträt.

Die ersten drei Seiten der Beilage waren Amélie Nothomb gewidmet, einer Schriftstellerin (geb. 1966), die sich rühmen darf, dass sie seit 1992 jedes Jahr einen Roman veröffentlicht hat. „Wenn Belgien verschwinden würde, so wäre das tragisch für mich“, wird sie in einer dicken Schlagzeile zitiert.  Ja, fragt man sich als harmlose Deutsche, warum soll Belgien denn verschwinden? Diese Frage kann eben nur jemand stellen, die normalerweise nichts über Belgien erfährt, die „Brüssel“ mit Europa gleichstellt und dabei auch nicht an Belgien denkt, die allenfalls  etwas über Ereignisse im belgischen Königshaus mitbekommt.

BELGIEN, das ist fürmmich was anderes. Das ist: Orval – ein Kloster in den Ardennen, das ein berühmtes Bier braut -, das ist Arlon, wohin manche Bewohner Luxemburgs ihre Kinder zur Schule schicken, weil sie dort nur eine Sprache, nämlich Französisch, lernen müssen und nicht drei, wie in Luxemburg. Mit dem Zug in einer halben Stunde. Belgien, das sind natürlich die Pommes Frites, das ist andererseits Flandern mit den Nordseebädern Knokke und Ostende, mit Brügge und den großen flämischen Malern. Belgien bedeutete für mich aber auch immer eine bestimmte  Gemütlichkeit, eine selbstverständliche Bildung, eine Konzentration auf das Wesentliche, das heißt auf die Menschen, den Menschen, die Menschlichkeit. Von diesem Bild unterscheiden sich nur die extremistischen nationalistischen Flamen, von denen eine Minderheit sich von Belgien trennen will. Nationalisten halt. Sie haben gewisse Gründe für ihre Wut: jahrhundertelang wurden sie von den Wallonen verachtet, verhöhnt, ausgebeutet.  Das Land hat sich bis heute als EIN Land erhalten, weil es katholisch ist, oder war. Früher bildete es zusammen mit Holland „die Niederlande“, eben jene, die Schiller meinte, als er „Vom Abfall der Niederlande“ schrieb. Wer da abfiel, das waren die Protestanten. Die Katholiken blieben übrig, das heutige Belgien blieb kaiserlich und lange Zeit ziemlich rückschrittlich. Heute führt das zu einer menschlichen Wärme, an der es in protestantischen Gegenden manchmal mangelt.

Belgien war auch der Ursprung der „Kongogreuel“, und das Land unterhält dennoch bis heute besondere Beziehungen zur ehemaligen Kolonie. Davon war im Kulturteil gar nicht die Rede. Afrika kam  im Zusammenhang mit Fussball vor:  es wurde ein Buch vorgestellt, in dem zwei belgische Journalisten  belgische Elendsquartiere darstellen, in denen jene jungen Afrikaner landen, die sich von Schleppern haben einreden lassen, sie bekämen einen Vertrag mit einem europäischen Profifußballverein, und dafür schon viel Geld hinlegen mussten: für das Visum, für das Flugticket und für die zahlreichen „Vermittler“. Ihre Familien verschuldeten sich, legten alle Hoffnungen in ihren fußballbegabten Jungen. Die Reise nach Europa als das höchste Ziel. Ein solcher Junge kann nicht mehr zurück, er würde sonst seine Ehre verlieren.

Ansonsten ging es um Festivals: im Tal der Semois (für Familien, preisgünstig), um das „Festival de Wallonie“ (klassische Musik für Anspruchsvolle),   „Les Ardentes“ am Ufer der Maas – dort regnete es gerade – und viele andere. Neuigkeiten aus dem belgischen Fernsehen. Mich staunte es, dass ich praktisch niemanden von den Genannten kannte, die selbstverständlich dem Leser als bekannt vorausgesetzt wurden.

So kehrte ich nach der Lektüre wie aus einem fremden Land zurück. Vielleicht ist aber LE SOIR einfach nicht die richtige Zeitung. Den Lesern wird nicht im geringsten erklärt, warum Belgien verschwinden sollte. Und doch weiß es jeder! Soviel weiß ich.

 

Frankfurt, den 8. Juli

"KINDERTREU" findet sich ab sofort im "Verzeichnis lieferbarer Bücher" und kann beim Buchhändler bestellt werden. Viel Vergnügen beim Lesen!

Frankfurt, den 2. Juli

Mein Roman ist da! Ich halte ihn in Händen! Das Buch fühlt sich gut an. Kein Luxus, aber trotzdem schön. Noch befindet sich der Titel nicht im Verzeichnis lieferbarer Bücher; auch der Verlag hat ihn noch nicht in seine Internetseite "eingepflegt". Das geschieht nächste Woche, versicherte mir der Verleger.

 

KINDERTREU, ein Familienroman von Barbara Höhfeld, Verlag Auf der Warft im Geheimsprachenverlag, Münster/W., 2014

 

Dies steht auf der letzten Umschlagseite:

 

"Wie entkommen wir der Vergangenheit? Kehrt sie zurück?

Wie gehen wir mit ihren Gespenstern um? Sind es Gespenster oder leibhaftig Lebende?

Freiwillig stellt sich keiner solche Fragen.

Manchmal drängen sie sich auf, wie in diesem Familienroman, der vier Generationen umfasst und Menschen lebendig werden lässt, die lieben, die sich fürchten, die nach Glück streben."

 

 

 

Frankfurt, 19. Juni, II

 Ein ganz anderer Gesangsunterricht

Von Kind auf habe ich gesungen,  gewöhnlich Volkslieder, in der Schule auch mal Anderes.  Als Erwachsene zog ich ins Ausland. Ich bin 1934 geboren, in meiner Generation galten Volkslieder oft als nazi-affin. So verlernte ich das Singen mit der Zeit, zumindest nachdem meine Kinder groß geworden waren.  Im Klimakterium verließ mich meine Stimme ganz.

Sobald ich freie Zeit fand, fing ich bei einem Gesangslehrer von vorne an. Ein wunderbarer Musiker - er fragte mich in der zweiten Stunde: „Was willst du?“  -„Singen,“ qntwortete ich. „Dann müssen wir Technik machen!“ – „Nur zu.“ Ich lernte neue Lieder, ich begann, mir meiner Stimme bewusst zu werden – es fehlte ihr eine natürliche Basis. Wo konnte ich die finden?

Nach einem Jahr beglückender Erkenntnisse zog ich zurück nach Deutschland, zog nach Frankfurt und fand eine neue Gesangslehrerin, eine ehemalige Opernsängerin. Sie arbeitete gründlich, legte mir zwecks Verbesserung der Atemtechnik einen Ziegelstein auf den Oberbauch und stellte allerhand Ansprüche. Ich fing zu der Zeit eine Ausbildung als Feldenkraislehrerin an und sprach vom „Brustkorb“. Meine Lehrerin war empört. Vom „Körper“ wollte sie nichts hören. Nach drei Jahren beendete ich den Unterricht. Ich hatte wieder viel gelernt, dennoch fiel mir das Singen schwerer und schwerer. Ich fand eine andere ältere Opersängerin, mit der ich mich über die Zeit anfreundete; aber auch sie vermochte mir nicht zeigen, wie ich die Anstrengung aus dem Singen herausnehmen könnte. Sind die Stimmbänder nicht klein und fein, und werden sie nicht bloß von Luft bewegt?  Ich gab auf. Fast.

Zufällig kam ich zu Caroline Jahns und probierte ihren Unterricht aus. All meine Körperkenntnisse erwiesen sich plötzlich  als traumhaft sichere Grundlage. Caroline kannte Wege, die ich noch nie begangen, ja, von deren Existenz ich nichts gewusst hatte. Alles im Bereich der Feinbewegungen. Von Atmung sprach sie nur beiläufig, in einer der ersten Stunden, dann nie wieder. Ich merkte, dass die Atmung sich von selber ideal einstellte, sobald ich im Umfeld der Stimmbänder, in Brust, Hals, Kopf, Gesicht eine Leichtigkeit fand. 

Im Alltag kommt es jetzt manchmal vor, dass ich jemandem ein Lied zeigen möchte, das mich beschäftigt, oder das gerade ins Gespräch passt. Neuerdings fällt es mir leicht, ein solches Lied anzustimmen, ich finde den Klang, die Melodie, ich singe leicht, manche Töne nur angedeutet – aber es tut wohl, es macht Spaß, die Zuhörer freuen sich. 

Noch wandle ich von Entdeckung  zu Entdeckung, noch singe ich nicht einfach Mozart- oder Schubertlieder. Noch erkunde ich vor allem den Klang, einen ganz neuen und vielfältigen Klang meiner Stimme, der keiner Anstrengung bedarf, wenn auch einer besonderen Konzentration.  Es scheint ein Weg auf, der wegführt von einzelnen Körperstellen, hin zu einem Klang, der sich im ganzen Körper ausbreitet. Es ist diese besondere Konzentration, die ich bei Caroline Jahns lerne: Den Klang leiten und ihn gleichzeitig fließen lassen.  Im Singen erfinde ich mich neu.  Danke, Caroline!

Frankfurt, 19. Juni

Heute ist in Hessen ein Feiertag (Fronleichnam) und so nahm ich mal wieder das Fahrrad und fuhr nach Bockenheim zu Caroline.

Es gibt wunderbare Radwege in Frankfurt, manchmal richtig schön breit, so dass man einer sich unversehens öffnenden Beifahrertür vom nebenan parkenden Auto noch ausweichen kann. Leider münden manchmal solche Wege in gefährlich enge Wege, wo dann auch noch Autos parken. Manchmal gar verschwinden sie völlig. Besonders rund um den Hauptbahnhof erfährt man das bitter. Von Norden kommend, verwandelt sich der Radweg unangemeldet und ohne Ausweg in eine seitliche Abbiegerspur. Ich muss dort in eine (im Alltag dicht befahrene) Autofahrspur wechseln (wenn ich mich nicht in eine Fußgängerin verwandeln will). Einen geschätzten halben Kilometer fahre ich so zwischen den Autos, bis ich zur Mainbrücke gelange, wo es wieder einen ordentlichen Radweg hat.

Nein, in Frankfurt kann man nicht sicher fahrradfahren, wie vielleicht im westfälischen Münster. Andererseits nehmen die Autofahrer hier sehr viel Rücksicht und fahren aufmerksam.

Heute aber war Feiertag, die Leute "machen die Brücke" und verbringen ihre Viertagesferien außerhalb der Stadt. Auf den Straßen war wenig Verkehr. So hat mir das Radfahren wieder Spaß gemacht.

Frankfurt, 14. Juni

Ein ganz anderer Gesangsunterricht

 

Von Kind auf habe ich gesungen, gewöhnlich Volkslieder, in der Schule auch mal Anderes. Als Erwachsene zog ich ins Ausland. Ich bin 1934 geboren, in meiner Generation galten Volkslieder oft als nazi-affin. So verlernte ich das Singen mit der Zeit, zumindest nachdem meine Kinder groß geworden waren. Nach dem Klimakterium verließ mich meine Stimme ganz.

Sobald ich freie Zeit fand, fing ich bei einem Gesangslehrer ganz von vorn an. Ein wunderbarer Musiker - er fragte mich in der zweiten Stunde: „Was willst du?“ -„Singen,“ qntwortete ich. „Dann müssen wir Technik machen!“ – „Nur zu.“ Ich lernte neue Lieder, ich begann, mir meiner Stimme bewusst zu werden – es fehlte ihr eine natürliche Basis. Wo konnte ich die finden?

Nach einem Jahr beglückender Erkenntnisse zog ich zurück nach Deutschland, zog nach Frankfurt und fand eine neue Gesangslehrerin, eine ehemalige Opernsängerin. Sie arbeitete gründlich, legte mir zwecks Verbesserung der Atemtechnik einen Ziegelstein auf den Oberbauch und stellte allerhand Ansprüche. Ich fing zu der Zeit eine Ausbildung als Feldenkraislehrerin an und sprach vom „Brustkorb“. Meine Lehrerin war empört. Vom „Körper“ wollte sie nichts hören. Nach drei Jahren beendete ich den Unterricht. Ich hatte wieder viel gelernt, dennoch fiel mir das Singen schwerer und schwerer. Ich fand eine andere ältere Opersängerin, mit der ich mich über die Zeit anfreundete; aber auch sie vermochte mir nicht zeigen, wie ich die Anstrengung aus dem Singen herausnehmen könnte. Sind die Stimmbänder nicht klein und fein, und werden sie nicht bloß von Luft bewegt? Ich gab auf. Fast.

Zufällig kam ich zu Caroline Jahns und probierte ihren Unterricht aus. All meine Körperkenntnisse erwiesen sich plötzlich als traumhaft sichere Grundlage. Caroline kannte Wege, die ich noch nie begangen, ja, von deren Existenz ich nichts gewusst hatte. Alles im Bereich der Feinbewegungen. Von Atmung sprach sie nur beiläufig, in einer der ersten Stunden, dann nie wieder. Ich merkte, dass die Atmung sich von selber ideal einstellte, sobald ich im Umfeld der Stimmbänder, in Brust, Hals, Kopf, Gesicht eine Leichtigkeit fand.

Im Alltag kommt es jetzt manchmal vor, dass ich jemandem ein Lied zeigen möchte, das mich beschäftigt, oder das gerade ins Gespräch passt. Neuerdings fällt es mir leicht, ein solches Lied anzustimmen, ich finde den Klang, die Melodie, ich singe leicht, manche Töne nur angedeutet – aber es tut wohl, es macht Spaß, die Zuhörer freuen sich.

Noch wandle ich von Entdeckung zu Entdeckung, noch singe ich nicht einfach Mozart- oder Schubertlieder. Noch erkunde ich vor allem den Klang, einen ganz neuen und vielfältigen Klang meiner Stimme, der keiner Anstrengung bedarf, wenn auch einer besonderen Konzentration. Es scheint ein Weg auf, der wegführt von einzelnen Körperstellen, hin zu einem Klang, der sich im ganzen Körper ausbreitet. Es ist diese besondere Konzentration, die ich bei Caroline Jahns lerne: Den Klang leiten und ihn gleichzeitig fließen lassen. Im Singen erfinde ich mich neu. Danke, Caroline!

 

Frankfurt, 6. Juni

Durchs Fenster lockt der Sommer mit rauschendem Grün und strahlender Sonne - nur um einen draußen mit unbehaglicher Kühle zu überraschen.

Welches Staunen dann, wenn unter den blühenden Linden der Duft auf mich herabfällt, mich einhüllt in seinen schweren Mantel, der Geruch um so vieles ernsthafter als der vom Jasminstrauch, an dem ich zwischendurch vorbeikomme. Wie schwierig, die Duftsignale in Worte zu verwandeln - das wäre doch die Aufgabe des Poeten vor allem: das Nicht-Sagbare dennoch zu sagen ...

Grad habe ich mitgeteilt bekommen, wer dieses Jahr den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhält: Jaron Lanier heißt er, glaub ich, wohnt in Berkeley, Kalifornien. Wollt Ihr mehr wissen? Im Internet ist es sicher schon ausgebreitet. Er wird als Kritiker von Missbrauch des Internets dargestellt, als erfolgreicher Unternehmer wird man da vielleicht gehört. Er ist außerdem Wissenschaftler, Techniker, Musiker - ein "Schulbabbruch" wird auch passenderweise erwähnt. Also einer von denen, die in der Schule nicht zurechtkamen und es dennoch zu was brachten ….Hoffnung….

In meiner Lesepaten-Arbeit habe ich nämlich grade zu resignieren angefangen, weil mein kleines Lesepatenkind dringend die Unterstützung seiner Eltern brauchte und diese sich nicht rühren - sie sprechen nicht mit der Schule, nicht mit mir, und der Kleine hat niemanden, der ihm bei den Schulaufgaben hilft. Vor allem kann er sehr schlecht lesen. "Bei uns gibt es ein starkes Elternrecht", sagte mir jemand, der bescheid weiß. Ohne die Zustimmung der Eltern kann man mit dem Kind nicht zum Arzt gehen (braucht es eine Brille?), kann kein Museum, kein Theater besuchen, nicht einmal auf den hohen Turm in der Stadt hinauffahren, damit das Kind mit eigenen Augen den Unterschied zwischen Gebirge und Ebene sehen kann. Es wusste neulich nicht, was "Ebene" bedeutet, das beschäftigt mich noch immer. Wie erkläre ich "Ebene" inmitten des Häusermeeres hier in unserem Stadtteil?

Noch andere Sorgen beschäftigen mich: in Luxemburg droht der "Schriftstellerverband" schon wieder zu zerfallen, weil sich die Vorstandsmitglieder über die politischen Eskapaden eines ihrer Mitglieder nicht einigen können. Schadet es dem Ansehen des Verbands, wenn eine seiner Vertreterinnen Dinge öffentlich verkündet, mit denen die andern nicht einverstanden sind? Oder die jedenfalls so platt und voller Unkenntnis formuliert werden, dass man sich dafür geniert?

Zum Beispiel heißt es in einem "Blog": "Lasst Kinder Kinder sein! Schützt die kindliche Reinheit und sein natürliches Schamgefühl! Stoppt die Frühsexualisierung!"

Behauptet wurde zuvor, dass in Kindergärten sexuelle Erfahrungen der Kinder untereinander gefördert würden, was ich ebenfalls grotesk finde (in Deutschland waren es die APO-Kinder, denen man sowas zumutete, und wofür sich heute alle genieren).

Aber was fang ich mit Formulierungen wie "kindlicher Reinheit" und mit "natürlichem Schamgefühl" an? Das sind doch schon wieder Setzungen, es sind erlernte Verhaltensweisen ….

Was geht mich das an? Nun, ich bin erstens Mitglied im Luxemburgischen Schriftstellerverband - seit seiner Gründung. Und zweitens hatte ich kürzlich Auseinandersetzungen mit einer Redaktion, weil diese meine Verteidigung von Sibylle Lewitscharoff nicht drucken wollte, nachdem diese von einem staatlich geförderten Kulturinstitut zuerst zu einer Lesung eingeladen, anschließend wegen angeblich nazistischen Gedankengut ausgeladen wurde. Die hatten Lewitscharoff überhaupt nicht gelesen.

Es scheint in Luxemburg anlässlich einer anstehenden Gesetzgebung zur Homosexuellenehe eine Art Kulturkampf zu geben, dem sich manche durch Ignorieren verweigern. In kleinen Gesellschaften kommt man damit am besten durch: nicht einmal ignorieren. Wird das hier wieder klappen?

Ich wohne in Frankfurt und bin nicht Teil jener Gesellschaft. Mich nervt es aber manchmal, wenn gegen "die Deutschen" immer wieder die Nazi-Untaten von vor 70 Jahren ins Feld geführt werden. Als gölte es nicht vor allem, den HEUTIGEN Menschen Toleranz zu gewähren, und nicht die Fundamentalisten an die Macht zu lassen.

Soweit für heute ….

 

 

Frankfurt, den 30 Mai

Es ist wieder kalt geworden, ich merk es nur meistens nicht, weil ich so mit anderem beschäftigt bin.

Das Psalmen-Konzert - es war ein Erfolg, es hat riesige Freude gemacht, und doch fiel mir beim letzten Akkord, den der Chor sang, ein Gewicht vom Leib. Erleichterung. Das Singen bedeutet eine seltsamem Anstrengung, die sich indes lohnt und stark macht und fröhlich.

In den letzten Tagen vor dem Konzert fand gleichzeitig das Festival der europäischen Poesie statt, mit berühmten und doch in Deutschland nicht bekannten Dichtern aus Griechenland - Titus Patrikios, ein wahrhaft bedeutender Mann -, Herman van Toorn aus Holland, der Landschaften in Worten formt, Jaromir Typlt aus Tschechien, ein junger Mann, der neue Wege in Richtung Performance ausprobiert und Poesien der Verwundung schreibt; nicht zu vergessen Eiléan Ní Chuilleanain aus Irland, meine Lieblingsdichterin von vor zwei Jahren, und noch viel andere. Es gab kluge, hoch schwebende, im Wesentlichen wurzelnde Gespräche. Marcella Continanza, die Erfinderin und Leiterin des Festivals, hatte neue, überraschende und immer besondere Orte ausgesucht, an denen sich die Dichter einander zuwenden konnten. Ich habe manchmal ein wenig gedolmetscht, denn nicht alle konnten Deutsch, oder Englisch, oder Französisch …

Nach dem Konzert und dem Festival brauchte ich Erholung.

Ich habe geschrieben.

In einem Brief, den ich an eine Person richtete, von der ich gern hätte, dass sie sich unbefangener äußere als sie es tut, schrieb ich den folgenden Eintrag aus dem "Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache" ab:

 

Sich äußern:

1) etwas, sich aussprechen: a) etw. sagen: seine Meinung, Gedanken, Ansicht (freimütig, unumwunden, unverhohlen) zu einer Frage, über jdmdn ä.; er äußerte einen Wunsch, Bitte, seinen Willen; e. Verdacht, seine Zweifel, seine Bedenken, Freude, Missbilligung, Entrüstung, seinen Unwillen, sein Bedauern ä.; „in meinen vier Wänden kann ich äußern, was mir passt“ (Brecht, Furcht und Elend) b) sich ä.: sich abfällig, wegwerfend ungünstig, lobend, befriedigt, vorsichtig über etw. ä.; sie hat sich in diesem Sinne gegen ihn geäußert.

2) Sich in, durch, als etw. ä, sich zeigen, zum Ausdruck kommen: die Krankheit äußerte sich in Schüttelfrost, durch Fieber; ihre innere Erregung äußerte sich im Zittern der Hände; jene Liebe, welche sich als Mitgefühl äußert (Rosegger); etw. ä.: etwas zum Ausdruck bringen: sie äußerte ihre Dankbarkeit dadurch, dass….

 

Dazu: ent-, veräußern

 

Diese lange Passage hat mich in Verwunderung versetzt: erstens wegen der vielen Nuancen, die hier hervorgehoben werden. Dann wegen der Auswahl der Beispiel!e Dieses - sehr umfangreiche - Wörterbuch ist in der DDR zusammengestellt worden. Die Ausdrücke "freimütig, unumwunden, unverhohlen" waren vermutlich Wunschbilder von früher; das Brecht-Zitat zeigt die Wirklichkeit.

Aber wer kann sich denn auch bei uns heute noch "freimütig" oder '"unumwunden" oder "unverhohlen" äußern"?

Bei der Betrachtung des Artikels über "sich äußern" oder "äußern" fiel mir auch die Vielfalt der Präpositionen auf, und mir schien, dass die Präpositonen heute im Untergehen begriffen sind.

Freilich hat sich der Umgangston seit der Zeit, wo die Gelehrten mit der "Gegenwartssprache" begannen, Mitte der Sechziger, sehr, sehr stark geändert. "Unumwunden" wird nicht mehr als positiv, sondern als rücksichtslos bewertet. Darin gehe ich mit.

Wir brauchen ein Sprache, in der ich meine - ein jeder seine, eine jede ihre - Gefühle und Gedanken äußern kann und dabei den andern nicht verletzt. Es steckt eine unendliche Arbeit in diesem Anspruch. Wer kann sie leisten?

 

 

 

 

 

 

 

Frankfurt, den 23. Mai

Gestern Abend begann das siebente "Festival della Poesia Europea" im Café Metropol neben dem Dom. Es war eine überwiegend italienische Runde, die um den Tisch in der hintersten Ecke saß. Wegen des nahenden Gewitters hatten sich alle Gäste nach innen begeben, und so war das Lokal im Grunde viel zu voll, um einer Tischrunde die Freiheit zu bieten, Gedichte vorzulesen und darüber zu sprechen. Es herrschte rundum ein ganz schrecklicher Lärm. In ihrer Einführung hatten die Italiener aber erklärt, dass italienische Dichter sich in Cafés zu treffen pflegen, und dass hier die Sitte weitergeführt werde. Ihre Gedichte sprachen Barbara Zeizinger aus Darmstadt und Eiléan Nì Chuillean, die wunderbare irische Dichterin. (Vor zwei Jahren entdeckte ich bei ihr den Satz, der mich seither begleitet: "There is a relationship between language and truth that is very subtle and it always changes.")

Trotz aller Hindernisse - oder auch deswegen? - entstand eine Atmosphäre der Verständigung, der gegenseitigen Gewogenheit, und das war sehr schön.

Heut Abend geht es weiter in der Buchhandlung "Südseite", Kaiserstraße 55. Dort werden wir eine ruhigere Umgebung vorfinden; Eilean wird noch einmal lesen, abwechselnd mit Martina Weber, Frankfurt. Eileans Gedichte werden erst auf englisch, dann in deutscher Übersetzung vorgetragen.

Evviva la poesia!

Frankfurt, den 22. Mai

Momentan geschieht so viel, dass ich nicht dazu komme, hier zu schreiben. Ich habe was über Lewitscharoff geschrieben, das in Luxemburg im Juni erscheinen soll. Darin verteidige ich die Schriftstellerin, die momentan vom Kulturbetrieb auf das heftigste gemobbt wird. Zum Beispiel wurde sie als Büchnerpreisträgerin 2013 nicht zum vorgestern feierlich eröffneten Frankfurter Literatur-Festival eingeladen. Oder über ihren Vortrag in Bad Soden, Anfang April, steht nichts im Internet. Dafür aber umso mehr Angriffe auf sie, die größtenteils unangemessen sind. Wegen ihres Gebrauchs des Wortes "Halbwesen" für Kinder, die durch Reproduktionsmedizin erzeugt wurden, insbesondere solche von anonymen Samenspendern, wird sie wilden "Nazi"-Vorwürfen ausgesetzt; wie ich neulich von einem Offiziellen (nicht in Frankfurt) vernahm, habe die FAZ die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung gerügt, dass diese (die den Büchnerpreis vergibt) sich nicht eindeutig genug von Lewitscharoff distanziert habe! Ist das "Meinungsterror"? Jedenfalls stelle ich mir sowas darunter vor.

Nach fleißigem Recherchieren habe ich den Eindruck gewonnen, dass sich hier Leute erregen, denen vor allem daran gelegen ist, sexuelles Vergnügen fernab zu halten von jeglicher Verantwortung für Fortpflanzung. Denn das ist, was Lewitscharoff in ihrer Dresdener Rede einforderte: Verantwortung statt Vermessenheit. Sie forderte es in dem ihr eigenen, persönlichen Stil. Wer fühlt sich da getroffen? Wo bleibt die Meinungsfreiheit? Außerdem hat Lewitscharoff sich doch ausdrücklich für das Wort entschuldigt, mit dem sie missverstanden wurde.

 

Im übrigen singe ich in einem interreligiösen Chor mit, obwohl ich keiner Kirche angehöre und mich auch keiner Konfession zugehörig fühle. Meine Mutter entstammte einer pietistischen Familie, davon sind bei mir noch Verantwortungsreste geblieben, nehme ich an. Und Singen ist schön, Singen tut wohl.

Unter "Veranstaltungen 2014" finden Sie die Einzelheiten! Im Internet dürfte das Schlüsselwort "Tehillim" lauten, das ist Hebräisch für "Psalmen". Datum: 26. Mai 2014.

Im Tagebuch sollte ich auch wohl vermerken, dass ich gestern die Druckversion meines Romans "KINDERTREU" freigegeben habe und dass er noch diesen Sommer erscheinen soll.

Ich freue mich darauf. Ich wünsche mir, dass sich ganz viele mit mir freuen.

 

 

 

 

 

 

 

Frankfurt, 6. Mai

Was bedeutet "Mehrsprachigkeit"? Neuerdings, so erfuhr ich gestern, wird damit eine gute Kenntnis des Englischen auf der Grundlage einer nicht-englischen Muttersprache bezeichnet. Wobei die Kenntnis der Muttersprache tendenziell unerheblich werde. Es gebe schon Eltern in Deutschland, die ihre Kinder von Anfang an in eine private englisch-sprachige Schule schicken, damit sie sofort gründlich Englisch lernten.

Ich vermute: diese Eltern möchten ihre Kinder zu Millionären erziehen, und Millionäre reden doch heute englisch! Als wenn jemandem, der hinter dem Englischen herläuft, gleich auch selbst die Millionen hinterherrennen würden!! Diese armen Kinder erfahren nie die Freuden der Muttersprache. Ganz zu schweigen von der Identität, welche diese vermittelt.

Gestern Abend wurden im Goethehaus die "Frankfurter Hausgespräche" eröffnet, die dieses Jahr unter dem Motto "Nach Babel - Sprache und Sprachen" stehen. Dort erläuterte man dem geduldigen Publikum zunächst die oben geschilderte Sachlage, von der die Redner dann ausgingen (oder nicht). Das Impulsreferat von Prof. Dr. JürgenTrabant segelte elegant über die Wogen zwischen den gegensätzlichen Positionen, indem er zunächst die markttecnische Praktikabilität der EINEN Verkehrssprache darstellte, ihr Vorteile (billig, schnell), und dann andeutete, welche Schätze an Geschichte, Wissenschaft, ja, ganze Bibliotheken dabei verloren gingen. Doch nicht nur das: die besonderen Eigenarten einer jeden Sprache - in der verfassten EU sind es momentan 24 - würden verschwinden. Wollen wir das?

Herr Gahler, Mitglied des Europäischen Parlaments, beschrieb ruhig und selbstverständlich, wie die EU mit ihren Sprachendiensten es fertig bringt, meistens eine Übersetzung für alle 24 Sprachen bereit zu halten, mündlich wie schriftlich. Denn, das betonte Herr Gahler, wenn jemand im Parlament über einen Beschluss abstimme, dann solle er sehr genau wissen, was drinsteht. Er müsse die Zusammenhänge, die unterschwelligen Bedeutungen, die Assoziativkräfte einzelner Ausdrücke einschätzen können - dabei benutzte er das Wort "Kultur", worauf ihn der Moderator aufs schärfste unterbrach mit dem Satz: "Zur Kultur kommen wir später!"

In diesem Einwurf liegt ein großer Teil des Problems: wer versteht was unter Kultur? Ist das nur "Oper" oder "Emil Nolde", oder ist das auch die Fähigkeit, zwischen französischem und deutschem Denken unterscheiden zu können und dazwischen eine Kompromiss zu entwickeln, dem beide zustimmen können??

Da ich gleichzeitig eine Chorprobe hatte, bin ich fortgegangen. Wie es im Parlament zugeht, weiß ich ohnehin.

"Zur Kultur kommen wir später" - das ist des Pudels Kern!

Frankfurt, den 3. Mai

Der Rosenstrauch

Am Mittwoch, dem 23. April, fand im Luxemburger Zentrum für Literatur („Centre National de Littérature“) in Mersch die festliche Einweihung eines Rosenstrauches im Garten des Institutes statt. Der Rosenstrauch trug den Namen „Dr. Nikolaus Welter“, er war 1912 von erfolgreichen Luxemburger Rosenzüchtern zu Ehren des bekannten Schriftstellers und Politikers so benannt worden. Der Geehrte verfasste zum Dank ein Gedicht. Die Einladung zu dieser Zeremonie hatte mich so neugierig gemacht, dass ich meine Abreise aus Luxemburg um einen Tag verschob und hinfuhr. Eine gute Viertelstunde in einem Vorortzug, und schon war ich dort. Ich dachte dabei auch an Enkelinnen des Geehrten, die meine Freundinnen sind. Ging es hier um eine Familienfeier?

Der Direktor des Zentrums, Claude C. Conter, hielt eine angenehme, gescheite Rede zum Tag des Buches, der weltweit am 23. April begangen wird, in Erinnerung an Shakespeare und Cervantes. Im Garten der "Maison Servais" (ein vornehmes Bürgerhaus, in dem das Zentrum residiert) hatte ich einen Platz in flüchtigem Schatten ergattert, die meisten andern saßen in der prallen Sonne. Man gewöhnte sich daran, und der Himmel schimmerte in einem ganz besonderen Blau. Vor einer Südmauer aus Natursteinen, teilweise mit Efeu bewachsen, stand ein unscheinbarer Rosenstrauch. Über ihm hing ein weißes Tuch. Das verbarg die Tafel, die später enthüllt werden sollte und auf der steht, dass der Rosenstrauch den Namen „Dr. Nikolaus Welter“ trägt. Direktor Conter legte dar, was der Tag des Buches mit Rosen zu tun hat. Unter anderm erzählte er, dass 1926 ein Barceloner Buchhändler an diesem Tag jedem Käufer eines Buchs eine Rose geschenkt habe. Es gab noch andere Zusammenhänge, die ich vergessen habe.

Nach ihm trat Tun Welter auf, diejenige Enkelin, die spezielle Nachforschungen betrieben hatte. Sie hielt einen gut aufgebauten und nicht überladenen Vortrag über ihren Großvater. Er habe sich dafür eingesetzt, dass in Luxemburg 2009 das erste Mädchenlyzeum eröffnet wurde, er schrieb Theaterstücke, die als „sozialkritisch“ von der Kirche heftig abgelehnt wurden. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte er eine Luxemburger Literaturgeschichte herausgegeben und dabei, zusammen mit Engelmann, einem anderen Literaten, die erste einheitliche Orthografie für das Luxemburgische ausgearbeitet. (Auch wenn sein Stil heute niemanden mehr begeistert, so muss er doch zu seiner Zeit viele mitgerissen haben. Mit dem, was ich wusste, kam es mir so vor, als wolle Tun den Großvater über den eigenen Vater stellen, sich auf ihn statt auf den Vater beziehen, ihn zu ihrem Modell nehmen.)

 

Die Feier begann mit einem Volkslied, das ein Klarinetten-Quartett spielte, und es sang eine junge Sopranistin dazu. Ganz einfache Musik, aber fein und gefühlvoll, gar nicht kitschig. Die Veranstaltung erwies sich keinesfalls als nur eine Hommage an eine Familie, es war mehr. Das wurde endgültig deutlich, als eine Frau Block das Wort ergriff, die bis vor kurzem die Vorsitzende der „Rosenfreunde“ gewesen war. Sie sprach von der Rosenzucht, von ihrer wirtschaftlichen Bedeutung für Luxemburg bis zum Ersten Weltkrieg. In dem Dankgedicht an die Rosenzüchter sah der Dichter die Rosenzucht als eigenständige Kunst an, die keiner Sprache mehr bedürfe. Frau Block beschrieb das Gleiche aus anderer Sicht: sie schilderte, wie kompliziert und schwierig die Neuzüchtung dieser Rose gewesen sei, die es in Luxemburg gar nicht mehr gab, die man nur in einem fernen Rosarium noch gefunden habe. Jetzt (am 23. April) trage der Strauch schon Knospen. Wer alle vier Wochen wiederkomme, werde die Entwicklung der Blüten, ihre Farbgebung, die den Sommer über wahrscheinlich etwas variiere, verfolgen können, und sie lud alle ein, immer wieder in die Maison Servais nachgucken zu kommen.

Zum Schluss wurde das weiße Tuch abgenommen – Tun Welter und Frau Block zogen mit vereinten Kräften daran – und ein junger Mann rezitierte Welters Rosengedicht. Die Sopranistin fügte noch ein Rosenlied hinzu, die Klarinettisten begleiteten sie. Ich empfand die ganze Zeremonie als rührend.

Gewiss steckte darin eine Suche nach Identität, doch war es gewiss kein Nationalismus. Die Sängerin und der Rezitator waren Urenkel; aber ihre Darbietungen standen für sich, sie wussten, wie man singt, wie man spricht. Es hatte etwas von einer Feier des Erwachsenwerdens an sich, für das Land, für die Familie, für alle.

Ich habe mich dort wohl gefühlt. Voller Zufriedenheit darüber, diese Veranstaltung miterlebt zu haben, fuhr ich nachhause.

 

 

 

Frankfurt, den 24. April

Heute fand am Hauptfriedhof die Trauerfeier für Ralf Heider statt. Er war Politiker, Sozialdemokrat mit Leib und Seele, er hat letzten Herbst einen Landtagswahlkampf hingelegt, aus dem er als Sieger hervorgegangen wäre, wenn nicht ein Teil der Partei gegen ihn gewühlt hätte. Alle diejenigen, die den Willen der Flughafenbetreiber höher veranschlagten als die Nachtruhe und die Gesundheit der Bewohner aus Frankfurt-Süd (einige zigtausend), die mit der Eröffnung der neuen Start- und Landebahn im Oktober 2011 plötzlich eben diese dahinschwinden sahen. Ralf Heider hat sich ganz außerordentlich für die Bekämpfung des Fluglärms eingesetzt.

Außerdem um vieles andere; er hat sich z.B. um die Erhaltung von billigen Wohnungen in seinem Stadtteil gekümmert, die die CDU-Regierung abreißen wollte, um günstig an Grundstücke zu gelangen, auf denen sie dann mehr Profite hätte einstreichen können. Noch viel mehr Gutes berichteten heute die Trauerreden; er hat für unendlich viele Menschen gearbeitet, und sei es durch Zuhören. Er bekam einen Herzinfarkt und war quasi sofort tot. Einfach so, in den Ferien. Am 12. April ist er gestorben, grad 52 Jahre alt. Ich habe noch nie so viele Menschen weinen sehen bei einer Trauerfeier. Die Schlange der Menschen, die seinen Sarg noch einmal grüßen wollten, nahm kein Ende. Er war Vorbild und Motor für die besten Ziele, die sich die SPD je auf die Fahnen geschrieben hat. Keine der Lobreden übertrieb in irgendeiner Form, im Gegenteil, jeder hatte das Gefühl, dass man ihm gar nicht gerecht werden kann, hier am Sarg.

Er wird später in Niederrad beigesetzt. Man weiß noch nicht, wie man ihn in der Politik wird ersetzen können, das ist den Meisten unvorstellbar.

Wie man früher sagte: Gott tröst' ihn in der Ewigkeit.

Frankfurt, den 13. April

Wieso habe ich hier eine so lange Pause eingelegt?

Es ist in der Zwischenzeit zu viel geschehen. Zum Schreiben brauche ich eine Form von Ruhe, die nicht eintritt, wenn ich ständig unter Termindruck stehe.

Am Wochenende vom 29.-31. März fand die sogenannte Immigrationsbuchmesse statt, von freitags bis sonntags, und ich war jeden Tag dort. In einigen Räumen der "Saalbau" im Nordwestzentrum, auch Titusforum genannt, weil es ganz in der Nähe römische Ruinen gibt, wovon auch die Ortsbezeichnung "Römerstadt" zeugt, fanden Vorträge, Lesungen, Konzerte statt, und im Foyer stellten vier, fünf Verlage ihre Bücher zur Schau. Der "Literaturclub der Frauen aus aller Welt e.V.", dem ich angehöre, bot Gedichte, eigene, fremde, im Wechsel mit Musik. Es war am Sonntag-Spätnachmittag und hatte Atmosphäre. Aber auch sonst ergaben sich Möglichkeiten zu Gesprächen und Informationen.

Am Samstag Mittag nahm ich noch an einer Führung im Museum für Moderne Kunst (MMK) teil: unter dem Motto "Dantes Göttliche Komödie" hatte die Museumsleitung (oder ihr Kurator) afrikanische Künstler aufgefordert, sich zu "Himmel", Hölle" oder "Fegefeuer" künstlerisch zu äußern. Die Führung war vom AMKA bestellt, und man gab uns einen migrantischen Führer, der leider das Deutsche nicht in allen Finessen beherrschte und auch von Dante wenig wusste. Mir hat sich bei der Führung der Eindruck eingeprägt, dass die Künstler Dante ebenfalls nicht kannten, sich um Begriffe wenig kümmerten und nur ihrem Gefühl folgten. So äußerten sich die meisten zum Thema "Fegefeuer". Eine Art populistischer Theologie war zu erkennen, die mit der Scholastik Dantes nichts mehr gemein hatte. Im Keller des MMK sah ich auf dem Presse-Aushang, dass sich 7 von 8 Zeitungen vor allem den nackten Jungfrauen gewidmet hatten, die den Märtyrern im Paradies verheißen werden. Bei der Eröffnung hatte man tatsächlich ein oder zwei Dutzend schöne Frauen gefunden, die bereit gewesen waren, sich nackt den Kameras darzubieten. Den Film konnte man während der ganzen Ausstellung angucken.

 

Ja, und dann war schon April. Mittwochs bin ich jetzt meistens bei der Chorprobe (diese und nächste Woche fällt sie wegen Pessach aus); wir singen Psalm 115, der den seltsamen Vers enthält: "Die Toten werden dich nicht loben, o Herr." Das dürfte mit ganz bestimmten Jenseitsvorstellungen zusammenhängen, die nicht in allen Psalmen die gleichen sind.

Mittwochs mittag arbeite ich mit meinem Lesepatenkind, bei dem langsam auch Fortschritte zu erkennen sind. Mit dem Lesen hapert es immer noch, was m.E. an den Augen liegt; doch die Mutter geht nicht zum Augenarzt. Sie macht Termine aus und ist dann verhindert hinzugehen. Aber das Kind fängt an, auch in der Sprache eine gewisse Systematik zu erkennen; das hilft ihm zu verstehen und mitzukommen.

 

Am Freitag konstituierte sich der neu gewählte SPD-Ortsverein, dem ich jetzt wieder angehöre. Sehr konstruktive Sitzung.

 

Am Samstag fand eine "Ehrenamtskonferenz" im Römer statt, bei der ich angemeldet war (Kostenbeitrag: 18 €). Ich lauschte den Gesprächen von Fachleuten, insbesondere einem spannenden Vortrag von Professor Speth. Er sieht das Vereinsleben in Deutschland als ein Rückgrat der Gemeinschaft im Frieden an. Vereine haben sich in der Nachkriegszeit unglaublich reich entwickelt: 1960 gab es an die 60.000, und 2012 an die 260.000! Dennoch ist ein Niedergang zu erkennen: die Vereine vergreisen. Junge Leute engagieren sich anders: in Projekten, in Initiativen; die Lebensformen haben sich geändert, am sichtbarsten bei den Frauen. Auch die Nachkommen der Migranten bleiben deutschen Vereinen lieber fern. Allenfalls beim Fußball gibt es die Bereitschaft, die Jungs heranzuziehen, auch wenn sie türkische Eltern haben. Es müssen jedenfalls neue Formen des Engagements gefunden werden, und der Staat könne das fördern, meinte der Redner.

Ich fragte den Professor, ob es nicht auf akademischer Ebene Wege gäbe, damit Kinder aus bildungsfernen Kreisen ihre Wissens- und Bildungsdefizite kompakt aufholen könnten - er schüttelte sein Haupt: da helfe nur frühkindliche Bildung. Mit der hapert es in Frankfurt.

Ich finde dennoch, dass die Unis solche Wege erforschen sollten!

 

An jenem Nachmittag fuhr ich nach Berlin, um Schwägerin und Bruder zu besuchen. Bei der Gelegenheit besichtigten wir die Ausstellung von Ai Weiwei im Gropiusbau. Ein erhellender Besuch, denn nun verstehe ich, warum Ai Weiwei so wichtig genommen wird von jenen, die ihn kennen. Ein Mensch mit außerordentlicher Kraft, dessen Kunstwerke aus einer Verschmelzung von Gegenwart und Vergangenheit in China erwachsen. Ästhetik: klassisch. Handwerklichkeit: perfekt. Bedeutung: tief und geheimnisvoll, politisch und melancholisch, gegenwartsorientiert.

 

Am Montag kehrte ich heim und traf mich noch am Abend in Darmstadt mit den Physikern, um unseren literarischen Text für die Zusammenarbeit mit Poseidon zu besprechen. Es wächst etwas heran: es soll sprachlich angenehm, inhaltlich auch für Laien verständlich und physikalisch absolut korrekt werden!

 

Am nächsten Abend trat Sibylle Lewitscharoff in Bad Soden auf; sie sprach im Zusammenhang einer Romantikreihe über Clemens von Brentano. Doch wollte das Publikum natürlich was von ihr über die "Halbwesen" hören, ein Wort, das sie erfunden hatte, um ihr Unbehagen an der künstlichen Befruchtung auszudrücken. Das war schon 14 Tage her, ich fand die Aufregung (die ganze Republik stand kopf!) unangemessen und die Verurteilung ungerecht. In Bad Soden hatten wahrhaftig die Grünen und die Linken in der Stadt versucht, den Abend abzublasen. War ihnen aber nicht gelungen. Ein Grüner kam mit "Die Würde des Menschen ist unantastbar" auf der Brust. Es wurde dann doch nur über Brentano gesprochen, die Veranstaltung wurde nämlich für den Rundfunk aufgezeichnet, und da wagte keiner zu stören. Lewitscharoff hat eine wunderbare Art, Heiterkeit und Aufmerksamkeit zu wecken; sie lacht nie auf Kosten von jemandem. Sie stellte einen Brentano vor, wie ihn sich keiner vorgestellt hatte! Zum Schluss ein Gedicht…

 

An den nächsten Tagen konnte ich vor Erschöpfung mich kaum rühren, tat nur das Notwendigste. Doch folgte am Freitag schon wieder was Einmaliges, Besonderes: eine öffentliche Konferenz über "Politische Romantik". Ich ging wenigstens am Abend hin: da sprach Safranski mit Wagenknecht über "Faust" - doch einmal die Sahra Wagenknecht, die schönste Frau der Republik, leibhaftig sehen! Schön und intelligent und verletzlich …… Sie kannte Faust in- und auswendig.

 

Vorher hörte ich noch einen jungen kroatischen Philosophen, der über "linke Melancholie" sprach, anscheinend ein Benjamin-Zitat und eigentlich nicht sein Thema. Er hätte sich eben schon vor vielen Monaten festlegen müssen. Aus seinem Vortrag filterte ich heraus, dass man auf dem Balkan und wohl überhaupt in Mittel-Ost-Europa es sich frei herausnimmt, romantisch zu sein. Solange kein Wohlstand erreichbar ist - 30 bis über 50 % Jugenarbeitslosigkeit! - helfen Ideale und Utopien weiter. Das leuchtet ein.

 

Am Samstag sprach um 14 Uhr Tarik Ali aus Oxford. Vom ihm hatte ich schon was in der "London Review of Books" gelesen, den kann ich so schnell nicht wieder persönlich treffen, die Gelegenheit musste ich nutzen. Er ließ uns an seinem globalen Blick teilhaben, dass es eine Freude war. Militärisch sind die USA nicht zu überwinden, sagte er, es lohnt nicht. Doch politisch sind sie empfindlich. Politisch lässt sich was erreichen. Nützen wir die Möglichkeiten! Entdecken wir sie! Die USA müssen sich nicht um das Schwarze Meer kümmern! Und überhaupt hatten sie damals, bei der Wiedervereinigung von Deutschland, feierlich versprochen, die NATO nicht nach Osten vordringen zu lassen. Das Versprechen wurde gebrochen. Anschließend nahm er an einer Diskussion teil, mit deutschen Professoren; da fiel das Globale eher wieder weg, die sahen nicht weiter als Europa, allerhöchstens; am liebsten: Deutschland.

 

Seltsam: ich habe bei den Veranstaltungen keine einzige Person getroffen oder auch nur gesehen, die ich kannte. Veranstalter waren die Bundeskulturstiftung und das Frankfurter Kulturamt. Kein Eintritt wurde erhoben, die Umstände freundlich, frei; es gab wertvolle Lektüre umsonst.

 

Und hier noch von Brentanos Gedicht:

 

 

 

Wenn der lahme Weber träumt, er webe,


Träumt die kranke Lerche auch, sie schwebe,


Träumt die stumme Nachtigall, sie singe,


Daß das Herz des Widerhalls zerspringe,


Träumt das blinde Huhn, es zähl’ die Kerne,


Und der drei je zählte kaum, die Sterne,


Träumt das starre Erz, gar linde tau’ es,


Und das Eisenherz, ein Kind vertrau’ es,


Träumt die taube Nüchternheit, sie lausche,


Wie der Traube Schüchternheit berausche;


Kömmt dann Wahrheit mutternackt gelaufen,


Führt der hellen Töne Glanzgefunkel


Und der grellen Lichter Tanz durchs Dunkel,


Rennt den Traum sie schmerzlich übern Haufen,


Horch! die Fackel lacht, horch! Schmerz-Schalmeien


Der erwachten Nacht ins Herz all schreien;


Weh, ohn Opfer gehn die süßen Wunder,


Gehn die armen Herzen einsam unter!

 

Clemens Brentano

 

 

Frankfurt, den 27. März

Am Sonntag folgt die "Sommerzeit", die freilich, auch nach meiner Meinung, abgeschafft gehört.

Vorläufig steigen die Temperaturen nachts nur wenige Grade über den Nullpunkt, mancherorts nicht einmal das. Tags aber, wenn die Sonne scheint, lässt es sich draußen schon recht gut leben. Zumal die Blumen- und Blütenpracht überall auf das Vollkommenste prangt.

An der Straßenbahnhaltestelle fällt mir eine Unterwäsche-Reklame auf, es handelt sich um schwarze Spitzen für BH, Höschen und Strümpfe, und die Dame, die das Zeug anhat, sieht aus wie eine schöne, gescheite Studentin, vielleicht aus Osteuropa. Warum gibt die sich für eine Darstellung als Edelnutte her?

Die Reklame rollt weiter, und wir sehen jetzt ein einnehmendes afrikanisches Mädchen, ein Kind noch, und über es wird gesagt: "Bildung macht den Unterschied". Man soll also spenden für die Bildung afrikanischer Kinder. Und wieder rollt das Plakat und das erste erscheint aufs Neue. Welchen Unterschied? frage ich mich erbost. Damit das Kind bald die Edelnutte geben kann?

Wir leben in einer scham- und moralfreien Zeit, so kommt es mir vor. Man darf noch nicht mal was öffentlich dagegen sagen.

So hatte ich neulich schon über Lewitscharoffs Dresdner Rede geschrieben. In einer Luxemburger Wochenzeitung, "D'Letzeburger Land", hatte sich Chefredakteur Hilgert mit solcher Vehemenz und Herabsetzung gegen Lewitscharoff geäußert, dass ich ihm dazu einen Gegenbrief schrieb. Er musste ihn nicht veröffentlichen, es ging mir eher um das Gespräch mit dem ansonsten tüchtigen Mann, den ich von früher kenne.

Doch er antwortete nicht, und er veröffentlichte meinen Brief auch nicht. Stattdessen entdeckte ich nach einer Woche einen anderen Leserbrief. Geschrieben hatte ihn der Direktor einer Einrichtung, die Lewitscharoff als Büchner-Preisträgerin zu einer Lesung im April (glaub ich) eingeladen hatte. Der Chefredakteur hatte in seiner Phillipika nicht nur kein gutes Haar an Frau Lewitscharoff gelassen, er hatte auch dieser Einrichtung vorgeworfen, dass sie deren Einladung nicht annulliert habe. Nun wehrte sich der Direktor in aller Schärfe gegen den Vorwurf: natürlich habe er die Lewitscharoff ausgeladen, und wenn der Chefredakteur nur ordentlich recherchiert hätte, dann hätte er auch schon eine Woche früher darüber informiert sein können!

Ich war paff. Einen Literaten auszuladen, weil er mit vorsichtigen, oder eventuell unvorsichtigen Worten eine Wahrheit äußerte, die viele Menschen, die ich kenne, auch so empfinden? Bedeutet das Redefreiheit?

Anscheinend erregt Lewitscharoff erhebliche Aggressionen bei manchen Männern. Sie ist eine starke Frau, das strahlt in ihrer Präsenz aus. Ein dritter, der seine Rede ebenfalls mit dem Satz einleitete: die war mir sowieso unsympathisch, behauptete, wenn ich Lewitscharoffs Meinung gelten ließe, dann müsste ich auch Sarrazin gelten lassen. Das verschlug mir die Sprache. Ein arroganter Banker kommt daher, verbreitet Dinge, die nicht stimmen, und stützt darauf - als SPD-Mitglied!! - politische Forderungen, wonach gewisse Teile der bundesrepublikanischen Bevölkerung vertrieben werden müssten - und das soll vergleichbar mit den Aussagen von Lewitscharoff sein?? Die ihr Unbehagen auch auf ihre persönlichen Erfahrungen mit ihren Eltern stützte, also immer im Subjektiven blieb, und ausdrücklich sagte, dass einer vergewaltigten Frau mindestens ärztliche Hilfe zustehe?? Dass sie niemals eine Forderung nach Verbot von Abtreibung unterschreiben würde, auch wenn sie selbst sich nicht zu einer solchen hätte entschließen können?

An all das und mehr muss ich denken, wenn ich dieses widerliche Plakat mit der schwarzen Unterwäsche sehe. Zumal ich mir vorstelle, wie die Spitze am Körper juckt, da sie vermutlich aus Kunststoff ist…….. Nach Baumwollspitze sieht das nicht aus ….. Nach Seide schon gar nicht ….

Übernächste Woche kommt Lewitscharoff nach Bad Soden im Taunus. Bislang wurde sie nicht ausgeladen. Ich habe mich schon erkundigt.